Die Freiheit des Andersdenkenden in Corona-Zeiten

Alexander King MdA
Die Lupe

Das wünsche ich mir für 2022.

„Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.“ Zum Jahreswechsel sollten wir uns mal wieder daran erinnern, dass auch die Corona-Krise diesen wichtigen Grundsatz, formuliert von Rosa Luxemburg, nicht aufhebt. Die Löschung der SWR-„Spätschicht“ mit einem umstrittenen Beitrag von Lisa Fitz aus allen Medien passt dazu ebenso wenig wie das Verbot der Demonstration #friedlichzusammen Mitte Dezember, deren Initiatorinnen die Einhaltung der Corona-Auflagen fest zugesagt und sich im Vorfeld von möglichen rechten Trittbrettfahrern klar abgegrenzt hatten.

Das gilt völlig unabhängig davon, dass sich Lisa Fitz durch eine Fehlinterpretation von EMA-Daten zu Impffolgen berechtigter Kritik ausgesetzt hat, und unabhängig davon, ob ich das Anliegen von #friedlichzusammen teile oder wie ich einzelne Beiträge zur Corona-Debatte finde. Zum Ende des Jahres 2021 haben wir uns vielleicht schon zu sehr daran gewöhnt, dass Meinungs- und Versammlungsfreiheit unter einem immer breiter gefassten Vorbehalt stehen.

Wir sollten uns nicht daran gewöhnen. Wir sollten wieder einen offenen Diskurs führen, in dem auch fundamentale Kritik ihren Platz hat – und damit ggfs. öffentlich widerlegt werden kann. Und in dem wir andere Meinungen nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung ansehen. Vorsicht ist doch eher da geboten, wo die Gewaltenteilung und der Rechtsstaat in Frage gestellt werden, wie durch den ehem. Vorsitzenden des Marburger Bundes, Frank Ulrich Montgomery, der die „kleinen Richterlein“ verhöhnte, die Urteile zu Corona-Maßnahmen zu fällen haben. Oder wenn höhere Kassenbeiträge für Ungeimpfte gefordert werden, wie durch den Bayerischen Gesundheitsminister, Klaus Holetschek.

Unsere Gesellschaft ist tief gespalten. Sie war es vor Corona – und ist es nun umso mehr. Wer glaubt, diese Spaltung abtun zu können, z.B. als kleinen Splitter einer ansonsten homogenen stabilen Holzplatte - dieses Gleichnis las ich öfters in den sozialen Medien -, irrt. Die Aufgabe ist größer. Die Unerbittlichkeit nimmt auf allen Seiten zu. Auf manchen der sogenannten Spaziergänge der Maßnahmenkritiker schlägt sie in Gewalt um. Rechte Gruppen gießen Öl ins Feuer, wollen aus der Spaltung ihren Nutzen ziehen. Umso wichtiger ist es, die Debatte wieder zu versachlichen.

Ich habe mir vorgenommen, in meinen Wahlkreisbüros in Tempelhof und Marienfelde die Nachbarn zu Corona-Gesprächskreisen einzuladen, natürlich unter Beachtung des Infektionsschutzes, weil ich erfahren habe, dass der Gesprächsbedarf groß ist. Ich will versuchen, allen Meinungen, die dort vorgetragen werden, vorurteilsfrei zu begegnen. Man kann durch den offenen Meinungsaustausch nur klüger werden.

Alexander King ist seit Dezember Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Zuvor war er Bezirksvorsitzender der LINKEN Tempelhof-Schöneberg.