Grußwort zur Einweihung der Informationstafel für das KZ-Außenlager von Sachsenhausen in Lichtenrade am Bornhagenweg
(Montag, 11.11.2024, 12.00 – 12.30 Bornhagenweg)
Liebe Anwesende,
am 24. Januar 1984 – vor nunmehr 40 Jahren – hielt eine Gruppe junger Menschen, die sich aus der evangelischen Kirchengemeinde kannten, eine Kundgebung in der Lichtenrader Bahnhofstraße ab, um ihre Forderung nach einer Erinnerungs- und Gedenktafel für das ehemalige Außenlager vom KZ Sachsenhausen in Lichtenrade zum ersten Mal öffentlich zu machen. Zu diesem Zeitpunkt kannten wir den genauen Ort des Lagers noch nicht. Wir hatten von seiner Existenz aber zum einen von den ehemaligen Sachsenhausen-Häftlingen Wolfgang Szepansky und Emil Ackermann erfahren, zum anderen 1983 durch eine Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle Berlin zum 50. Jahrestag der Machtübertragung an die Nazis am 30. Januar 1933.[1]
Mit Hilfe der Kameraden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) begannen wir unsere Suche und unsere Recherchen. Über die VVN erhielten wir Kontakt zu Fritz Reuter, ehemals Häftling im Lichtenrader Lager, in Ost-Berlin wohnhaft und organisiert im Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR. Er besuchte uns in unserem Jugendkeller der evangelischen Kirchengemeinde, erzählte uns von seiner Haftzeit in Lichtenrade, seiner gelungenen Flucht aus dem Lager, seiner kommunistischen Widerstandsarbeit und er brachte uns die Fotografie des Außenlagers mit. Mit ihr und durch den Vergleich mit alten Stadtplänen konnten wir den Ort des Lagers ermitteln und unsere Forderung nach einer Erinnerungs- und Gedenktafel konkretisieren.
Sie wurde 1987 mit der Errichtung dieses Mahnmals im Rahmen der 750 Jahr-Feier durch den Bezirk Tempelhof erfüllt, wenn auch nicht in der von uns gedachten Form.
Gleichwohl war es für Lichtenrade die Initialzündung für eine kontinuierliche antifaschistische Gedenktradition. Wir „gründeten“ die Lichtenrader Geschichtswerkstatt und wurden durch unsere über die Jahre kontinuierliche Arbeit als Gesprächspartner zunehmend ernstgenommen und angefragt. So konnten mit Unterstützung von Lichtenrader Bürgern, Parteien und Institutionen weitere Erinnerungsorte in Lichtenrade realisiert werden: Die Gedenktafel für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem evangelischen Kirchhof in der Paplitzer Straße im Jahr 1996, der Erich-Hermann-Platz im Jahr 2005 und 33 Stolpersteine an 13 Orten im Jahr 2007.
Wir hätten uns 1984 nie träumen lassen, noch Jahrzehnte später weitere ehemalige Häftlinge des Außenlagers kennenzulernen, aber so kam es:
Im Zusammenhang mit der Zwangsarbeits-Entschädigung lernten wir 2003 Stanislav Marjanovič Veržbicki kennen. Er wurde 1942 als 18-Jähriger aus der Sowjetunion nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppt und kam 1943 so auch nach Sachsenhausen und nach Lichtenrade. Seine Schilderung der Internierung war düster: In einem fremden Land mit einer fremden Sprache ohne Anschluss und Kontakt zu vertrauten und vertrauenswürdigen Personen. Dennoch sprach er von einer verhältnismäßig milden Behandlung in Lichtenrade im Vergleich zu anderen NS-Zwangsarbeits- und Straflagern, die er durchlitt. Er besuchte uns 2003 mit seiner Enkelin in Lichtenrade, nochmals dann 2005 mit seinem Sohn. Im gleichen Jahr machten wir unseren Gegenbesuch auf die Krim nach Sevastopol.
Beim 60. Jahrestag der Befreiung von Sachsenhausen lernten wir 2005 Dr. Ernst Neugroschl und 2010 Max Stern kennen. Die beiden deutschsprachigen Slowaken stammten aus Bratislava und wurden als Juden von den Nazis inhaftiert und deportiert.
Ernst Neugroschl (geboren 1928) kam zusammen mit seinem Vater in das Außenlager in Lichtenrade. Die Arbeit der Häftlinge, so schilderte er, bestand hauptsächlich im Beseitigen von Trümmern, Bau von Luftschutzgräben, Feuerlöschteichen, Entschärfen nicht explodierter Fliegerbomben (sogenannte Himmelfahrtskommandos). Ernst Neugroschl überlebte ebenso wie seine Familie. Nach dem Krieg führte ihn sein Weg zunächst zurück in die Slowakei, dann nach Israel und schließlich in die USA.
Max Stern (geboren 1921) wurde 1944 zusammen mit seiner Familie aus Bratislava deportiert. Seine Eltern und zwei seiner Brüder wurden in Auschwitz ermordet. Er selbst kam über Zwischenstationen nach Sachsenhausen und nach Lichtenrade, musste nach Räumung des Lagers mit auf den Todesmarsch. Nach Kriegsende erfuhr er, dass bis auf zwei Schwestern seine ganze Familie beim Holocaust umgekommen war. Er war traumatisiert, kehrte zunächst heim nach Bratislava. Dort lernte er seine spätere Frau Eva kennen und er begann wieder mit Briefmarken zu handeln. 1948 wanderte das Ehepaar nach Australien (Melbourne) aus und konnte sich dort ein neues Leben aufbauen.
Die Idee zu einer ergänzenden Informationstafel neben dem Mahnmal konkretisierte sich 2014, als wir von der SPD-Bundestagsabgeordneten Mechthild Rawert eingeladen wurden, in einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar über das Außenlager Lichtenrade zu berichten. Unser Anliegen war, zum 70. Jahrestag der Befreiung von Lichtenrade am 23. April 2015, vier Informationstafeln an den vier Ecken des ehemaligen Außenlagers zu installieren, um zum einen die räumliche Dimension des Lagers nachzuempfinden und zum anderen Informationen über das Lager und seine Inhaftierten zu präsentieren. Die Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg entschied sich für eine Tafel, die hier nun realisiert werden konnte.
Darüber freuen wir uns und auch darüber, dass der bereits verwitterte Schriftzug auf dem Mahnmal kürzlich ebenfalls wieder erneuert wurde.
Es ist an uns, die antifaschistische Erinnerungsarbeit und den Schwur von Buchenwald „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ weiterzutragen.
[1] Staatliche Kunsthalle Berlin und Neue Gesellschaft für Bildende Kunst: 1933 – Wege zur Diktatur. Vom 09.01. bis 10.02.1983. Berlin 1983. Im Ausstellungskatalog wird auf den Seiten 290ff. über das KZ Sachsenhausen und seine Nebenlager in Berlin berichtet.