Leben, nicht nur vegetieren!

 

Für ein Menschenrecht auf Arbeit

Mit zwei aufschlussreichen LUPE-Artikeln hat unsere bei der letzten BVV-Wahl neugewählte Bezirksverordnete Elisabeth Wissel zu Grundfragen von Arbeit und sozialer Sicherung Stellung bezogen.

In der Februar-Ausgabe (Seite 7) stellte sie unter dem Titel „Die Alternative zum ÖBS heißt nun ÖgB“ realistisch dar, dass nach dem Ende des rot-roten Senates auch in Berlin statt ÖBS nur noch die bundesweit üblichen Beschäftigungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose übrigbleiben: fragwürdige Bürgerarbeit und die zurecht kritisierte Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung. Beide ermöglichen weder eine Überwindung der Hartz- IV-Abhängigkeit noch eine wirkliche Perspektive als Erwerbstätige.

Bereits auf Seite 4 der Januar-Ausgabe der LUPE kritisierte Elisabeth Wissel die idealistische Scheinlösung, Konsumtion per bedingungslosem Grundeinkommen ließe sich von der dazu notwendigen Produktion trennen und alle Bedürftigen könnten per Abstimmung quasi zu alimentierten ,Coupon-Schneidern‘ werden, denen eine gesicherte Rendite zuflösse wie den bereits von Marx als ,parasitär‘ kritisierten Besitzkapitalisten. In der Tat sind weder die Beschäftigungsförderung durch die verbliebenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente noch die unrealistische Hoffnung, die Besitzenden ließen sich zur Finanzierung eines wirklich lebenssichernden Einkommens für alle zwingen, Ansätze einer realistischen Arbeits- und Sozialpolitik. Doch was ist dann eine realistische Zukunftsperspektive für alle, deren Einkommen kaum zum Überleben reicht?

Auch dafür gibt es längst Vorstellungen im Kreis der LINKE. Ein von der Bundestagsfraktion eingebrachter Gesetzentwurf von 2009 über die „Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz“ sieht ein Menschenrecht auf Arbeit vor. Ein einzufügender Artikel 3a, Absatz 2, lautet dazu: „Jeder Mensch hat das Recht auf frei gewählte oder angenommene Arbeit.“ (Bundestags-Drucksache 16/13791 vom 14.7.2009)

Ehrlicherweise muss man dabei anmerken, dass die Konzeption eines Menschenrechtes auf Arbeit als Kehrseite auch die Pflicht zur Arbeit hat, in ähnlicher Weise zuletzt realisiert in der DDR-Verfassung. Ansonsten würde sich ja auch wieder die Frage nach der materiellen Existenzsicherung bei allen stellen, die keine Arbeit ausführen, aber dennoch gut leben wollen. Zur konzeptionellen Blindheit der Grundeinkommens-Befürworter gehört, dass sie nur die Versorgungsdimension sehen und nicht, dass Arbeit eine sinnvolle produktive Tätigkeit ist, die über verlässliche soziale Kontakte die Integration fördert und gerade die Vereinzelung und Geringschätzung bloßer Subventionsbezieher überwindet.

Wirklich produktiv werden kann eine grundrechtsbasierte Beschäftigung jedoch nur, wenn sie mit einem akzeptablen Mindestlohn und sinnvoller Ausgestaltung verbunden wird. Dazu gehört nach meiner Einschätzung eine nicht-repressive Umsetzung, die das Nacheinander von (Aus-)Bildung in Kindheit und Jugend, Arbeit im Erwachsenenalter und Erholung vor allem am Lebensabend als Rentner überwindet und so Bildung, Betreuung anderer und längere Urlaube bereits in der arbeitsproduktiven Phase erlaubt, die derzeit allzu oft von Stress und Überforderung geprägt ist.

Eine Neuausrichtung könnte erst einmal in einem öffentlich organisierten Non-Profit-Sektor für aktuell Erwerbslose beginnen. Bei einer Regelarbeitszeit von 30 Wochenstunden und einem Mindestlohn von 10 Euro ergäbe das ein garantiertes Monatseinkommen von 1200 Euro für jeden dort Beschäftigten ohne zeitliche Begrenzung irgendwelcher Maßnahmen.

Als Produktivgenossenschaft, Anstalt öffentlichen Rechts oder einer koordinierenden Bundesanstalt für Arbeit organisiert, böte diese Reform einen Übergang zu solidarischeren Formen des Zusammenlebens, ohne dass mensch erst auf den Sieg des demokratischen Sozialismus warten muss oder darauf, dass sich ein profitgieriges Wirtschafts- Establishment dazu durchringt, großzügig ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle mitzufinanzieren.

Das Einfordern einer aktiven Mitgestalterrolle und Existenzsicherung durch gesellschaftliche Arbeit trifft schon lange auf Akzeptanz weit über den Kreis der Partei DIE LINKE hinaus, auch wenn es den Keim ,systemüberwindender Reformen‘ in sich trägt, wie sie Jusos und Teile der SPD in früheren Jahrzehnten forderten. Denn dass dieses System der sozialen Spaltung und Ausgrenzung überwunden werden muss, ist vielen plausibel geworden, seit nicht mehr ,Wohlstand für alle‘ propagiert, sondern Sozialabbau im Interesse weniger betrieben wird.

Franz-Josef Paulus