DIE LINKE, Corona und der Protest

Alexander King
Die LupeTempelhof-Schöneberg

In der Corona-Krise muss DIE LINKE als Stimme der Vernunft und der Kritik wahrnehmbar bleiben.

DIE LINKE hat die Maßnahmen zum Infektionsschutz mitgetragen. Das war angesichts des Ausmaßes, das die Pandemie in vielen Staaten angenommen hat, richtig. Gemessen an der üblichen Sterberate in Europa gab es eine hohe Übersterblichkeit von allein 100.000 zwischen Mitte März und Mitte April. Besonders schlimm ist Schweden betroffen, wo die Regierung auf den Lockdown verzichtet und stattdessen weitgehend auf die Einsicht der Bürger gesetzt hat. Die Folge ist eine erheblich höhere Todesrate, vor allem im Großraum Stockholm. Die Wirtschaft ist trotzdem baden gegangen. Auch in Deutschland gab es Stimmen, die den schwedischen Weg empfohlen haben. Sie haben sich glücklicherweise nicht durchgesetzt.

Im April und Mai bracht sich der allgemeine Unmut über die Folgen des Lockdowns Bahn in einer Vielzahl von Protestaktionen. Wie viel Zulauf die Kundgebungen tatsächlich haben, war zunächst nicht klar ersichtlich, weil wegen der Teilnehmerbeschränkungen, die bis Ende Mai auch in Berlin galten, Demonstranten abgewiesen werden mussten. Umfragen zufolge teilt allerdings nur eine Minderheit in der Bevölkerung die Positionen der Corona-Proteste.

Auch wenn es derzeit ein Randphänomen ist, ist die Mischung gefährlich: Vor der sich anbahnenden Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit und bereits jetzt empfindlichen Einkommensverlusten baut sich eine widerständige, allerdings in Teilen irrationale Stimmung auf. Menschen verletzten bewusst die Bestimmungen zum Infektionsschutz. Sie fühlten sich eingesperrt, sahen ihre Grundrechte bedroht. Die AfD und andere rechte Gruppen versuchen, den Unmut für ihre Agenda zu instrumentalisieren. In Berlin hatten sich Verschwörungsgläubige an die Spitze der Proteste gestellt.

Zuletzt schien es so, dass diese Vereinnahmung von rechts dazu beigetragen hat, den Zulauf zu den Kundgebungen zu verringern. Das ist einerseits ermutigend, zeigt aber auch, dass es nicht reicht, den Unmut, der ja dennoch weiterhin vorhanden ist, mit rechter Gesinnung oder Verschwörungswahn gleichzusetzen.

DIE LINKE diskutiert darüber, wie sie wütende Menschen noch erreichen kann, bevor sie nach rechts abdriften. DIE LINKE hat politisch nichts gemeinsam mit den Veranstaltern der Proteste. Und vor allem teilt sie die Kritik nicht, die dort artikuliert wird und die sich nicht vorrangig auf die sozialen Schieflagen im Pandemie-Management der Bundesregierung bezieht, sondern auf die Kontaktbeschränkungen und (wahrgenommene) Einschränkung von Grundrechten. Insofern kann es keinen unkritischen oder gar positiven Bezug auf diese Proteste geben.

Falsch wäre es aber auch, gleich ins Gegenteil umzuschwenken und gar keine Kritik mehr zuzulassen bzw. alle, die an den Protesten teilnehmen, pauschal als rechts zu diffamieren oder von oben herab abzukanzeln. Es gibt auch Komponenten des Protestes, an die wir anknüpfen können – und müssen, wenn wir den Rechten nicht das Monopol auf Opposition überlassen wollen:

Sozialer Protest aus eigener Betroffenheit (Insolvenzgefahr für inhaberbetriebene Geschäfte, verbreitete Kurzarbeit, drohende Arbeitslosigkeit) artikuliert sich nicht immer unmittelbar auf den Kundgebungen, kann aber den Nährboden für deren Zulauf bilden. Kritik an der internationalen Gesundheitspolitik (Einfluss von Stiftungen und Lobbyisten, Angst vor zunehmender Überwachung) ist teilweise berechtigt und muss aufgegriffen werden, um zu verhindern, dass sie Teil von Verschwörungstheorien wird, die nach rechts anschlussfähig sind.

In der Haltung zu den Infektionsschutzmaßnahmen und zu den Protesten dagegen drückt sich auch die Spaltung zwischen neuer und alter Mittelschicht aus. Die neue Mittelschicht hat den Lockdown im Homeoffice mit vollen Bezügen besser überstanden, die alte, Arbeiter oder Inhaber kleiner Betriebe, hat wesentlich existentiellere Sorgen.

DIE LINKE muss deshalb als Stimme der Kritik wahrnehmbar bleiben. Gut gelingt dies derzeit Sahra Wagenknecht auf ihrem Youtube-Kanal mit Hunderttausenden von Zuschauern. Sie hat die Infektionsschutzmaßnahmen verteidigt und dafür auch aus der eigenen Anhängerschaft viel Widerspruch geerntet und gleichzeitig unsere Kritik am deutschen und internationalen Pandemie-Management deutlich formuliert und damit auch viele Unzufriedene angesprochen, die sich mehr Opposition von der LINKEN erhoffen.

Und da gibt es viel zu kritisieren. Die umfangreichen Rettungsprogramme weisen eine erhebliche soziale Schieflage auf. Viel Geld bleibt bei großen Konzernen hängen, die eigentlich ausreichend liquide wären, um sich selbst zu helfen. Zu wenig Geld kommt bei bedürftigen Familien an. Da muss es weiterhin nicht nur erlaubt sein, sondern ist es sogar dringend erforderlich, die enge Verquickung von Geld und Politik zu kritisieren.
Alexander King, Bezirksvorsitzender der LINKEN Tempelhof-Schöneberg