Sanktionspolitik muss kritisch überprüft werden: Erreicht sie ihre Ziele? Und was sind ihre unerwünschten Nebenwirkungen?

Alexander King MdA

Auf Dauer lassen sich die Leute kein X für ein U vormachen. Gut so. Die Springer­Presse berichtet heute von "erschreckenden" Daten aus einer INSAErhebung, derzufolge die Deutschen mehr und mehr an der Sinnhaftigkeit der Russland­Sanktionen zweifeln. Eine große Mehrheit geht davon aus, dass die Sanktionen uns genauso (36%) oder sogar schlimmer (47%) schädigen als Russland.

Ich finde dieses Meinungsbild nicht erschreckend, sondern ermutigend, weil endlich eine realistische Perspektive auf die Wirksamkeit und unerwünschte Nebeneffekte der Sanktionen Einzug erhält. Linke Politiker wie Sahra Wagenknecht, Klaus Ernst und Sören Pellmann fordern zurecht seit längerem eine kritische Überprüfung.

Nach allem, was man bislang weiß, werden die Sanktionen (und Gegensanktionen) wie folgt wirken:

1) Ja, selbstverständlich wird es zu tiefgreifenden Folgen für die wirtschaftliche Situation vieler Russen kommen. Insbesondere die Sanktionen in den Bereichen des Hochtechnologietransfers und industrieller Produktionsketten werden in Russland zu Wohlstands­ und Arbeitsplatzverlusten führen, v. a. in der Mittelschicht und städtischen Unterschicht.

2) Auch in Deutschland (bzw. im Westen) werden die Sanktionen und Gegensanktionen viele Menschen vor erhebliche Probleme stellen.
Das betrifft auch hier v. a. Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen bis hin zu Facharbeitern (Industriearbeitsplätze).

3) Der Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und Russland wirkt am verheerendsten bei denen, die damit am wenigsten zu tun haben: den Menschen in den Ländern des Südens. Düngerboykott explodierende Transport­ und Verarbeitungskosten, Energiemangel aufgrund der Konkurrenz durch den Westen schlagen hier (neben den unmittelbaren Kriegsfolgen wie geringere Getreidelieferungen) zu Buche. Diese Opfer des Wirtschaftskriegs wird niemand zählen. Wir sehen nur ab und zu die Aufstände in Sri Lanka und anderswo.

4) Profiteure gibt es natürlich auch: die US Fracking Industrie und natürlich Saudi Aramco, der große Swing Producer und wertvollstes Unternehmen an der Börse, das jetzt seine Belieferung des Weltmarkts hochfährt, während der Eigenbedarf in Saudi­Arabien durch günstigeres russisches Öl gedeckt wird. Immer deutlicher wird 

5): Ein Wirtschaftskrieg gegen das größte Land der Welt, das auf allen Rohstoffen sitzt, die der Rest der Welt für seine wirtschaftliche Entwicklung benötigt, ist in seinen Auswirkungen unkalkulierbar und auf jeden Fall etwas anderes als Sanktionen gegen kleine Länder wie Kuba oder Syrien (und selbst die erreichen ihre politischen Ziele nicht).
Deshalb steht eigentlich

6) nur eines fest: Falls das Ziel der RusslandSanktionen sein sollte, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden, werden sie dieses kaum erreichen. Deshalb ist denjenigen zuzustimmen, die eine Revision dieser Politik fordern.
Alexander King MdA