Abbau von Stigma statt Kriminalisierung - Warum Verbote kein Weg in die Zukunft sind

Carolin Behrenwald
Die Lupe

Seit dem 01.07.2017 werden Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Berlin im schon ausgerufenen „größten Bordell Europas“ vermeintlich besser geschützt: Eine Pflicht zur Gesundheitsberatung und offiziellen Anmeldung als Sexarbeitende - inklusive Beratungsgespräch - soll Zwangsprostitution, Menschenhandel und Missbrauch eindämmen und zurückdrängen.

Seit dem 01.07.2017 werden Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Berlin im schon ausgerufenen „größten Bordell Europas“ vermeintlich besser geschützt: Eine Pflicht zur Gesundheitsberatung und offiziellen Anmeldung als Sexarbeitende - inklusive Beratungsgespräch - soll Zwangsprostitution, Menschenhandel und Missbrauch eindämmen und zurückdrängen.
Das seit 2002 legalisierte Gewerbe soll so wieder etwas unter Kontrolle gebracht werden. Doch das „Prostituiertenschutzgesetz“ (ProstSchG) stößt in der Realität an seine Grenzen. Denn -bewusste oder unbewusste- Regelungslücken führten nicht nur dazu, dass in Berlin Bezirks- und Landesebenen die Verantwortung für die Einrichtung der im Gesetz geforderten Anmeldung und Gesundheitsberatung seit langem hin und her geschoben wird. Seit über einem Jahr werden ausschließlich Alias-Bescheinigungen ausgestellt – die die Sexarbeitenden quasi in die Illegalität zwingen. Durch die ungeklärte Situation von Prostitutionsstätten in städtischen Mischgebieten stehen viele selbstverwaltet betriebene Wohnungsbordelle vor dem Aus. Denn weder Verwaltungsvorschriften noch offizielle Handreichungen geben bisher klare Richtlinien vor, wie im Rahmen einer offiziellen Erlaubniserteilung mit ihnen umzugehen ist.
Wer den Schutzgedanken gegenüber den Sexarbeitenden, der ausdrücklich Ziel des neuen Gesetzes ist, ernst nimmt, der kommt um die Klärung dieser Fragen nicht herum. Denn die Konsequenz einer strengen Auslegung des Planungsrechts für die kleinen Wohnungsbordelle ist absehbar: Eine Abwanderung des Geschäfts mit der Sexarbeit ins Internet und in die Illegalität, sowie die Konzentration der Tätigkeit in wenigen Großbordellen am Stadtrand. Denn aktuell stehen die Betreiberinnen und Betreiber vor der Wahl: Melden sie sich und ihr Gewerbe nicht an, machen sie sich strafbar.
Melden sie sich offiziell an, wird ihnen durch die Lage in einem Wohn- oder Mischgebiet die Erlaubnis zum Betrieb nicht erteilt und ihnen so ihre Existenzgrundlage entzogen.
All das läuft den eigentlichen Intentionen des Gesetzes zuwider, stärkt weder die Autonomie der Sexarbeitenden noch ihre Rechte - und ist nachweislich auch nicht so gewollt - aber wird man aus dem Schaden wirklich immer klug?
Denn statt sich mit den offiziellen Schieflagen der aktuell bestehenden Gesetzgebung auseinander zu setzen, wird an prominenter Stelle bereits durch CDU und SPD an einem Sexkaufverbot für Deutschland gearbeitet.
Aber weder Entstigmatisierung noch Schutz werden, wie wir durch die Erfahrungen aus Schweden und den anderen Ländern mit dem sogenannten nordischen Modell wissen, das den Sexkauf und somit die Freier unter Strafe stellt, vorangebracht. Weder trägt es dazu bei, dass Zwangsprostitution und die dazugehörigen Strukturen des Menschhandels besser aufgedeckt und lahmgelegt werden, noch hilft es, das Stigma abzubauen, das der Sexarbeit noch immer anhaftet.
Wenn wir beim Thema Sexarbeit als Gesellschaft einen neuen Weg einschlagen wollen, brauchen wir eine gesicherte Ausfinanzierung von Beratungsund Anlaufstationen für Sexarbeitende, eine Stärkung der mit den Themen Menschenhandel und Zwangsprostitution beschäftigten Abteilungen der Polizei und selbstverwaltete Bordelle, in denen die Frauen die Möglichkeit haben, selbstbestimmt zu arbeiten, um nicht in Großbordellen am Stadtrand an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden.
Aber wir brauchen viel mehr. Erst der Abbau von patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, eine breite Entstigmatisierung der Sexarbeit und die Schaffung von echten Alternativen für die in der Sexarbeit Tätigen bringt den gesellschaftlichen Wandel, den wir so dringend benötigen.
Carolin Behrenwald