Detlef Stoklossa, Für eine Erziehung zum Widerstand nach Auschwitz

Das Kollektiv: Marianne, Andreas und Carsten
Die Lupe

Detlef Stoklossa, 1943 geboren, Kriegs- und Nachkriegskindheit im kaputten Berlin, Vater kurz vor Kriegsende noch zum „Volkssturm“ eingezogen, seitdem verschollen und Anfang 1951 für tot erklärt, Mutter Krieger witwe mit zwei kleinen Kindern in  notvollen Zeiten – so die Kurzform seiner frühen Kindheit. Nicht nur die Vergangenheit seines Vaters, der ab1933 in der Nazi-Partei Karriere machte, sondern das ganze ungeheuerliche Geschehen, das sich Nationalsozialismus nannte, wurde damals in der allseits sauberen Adenauer–Welt verschwiegen. Hier wurzelt für Detlef die bis heute zentrale Fragestellung, wie so etwas geschehen konnte, warum so viele im Faschismus mitgemacht, den Kopf in den Sand gesteckt haben – und frei nach Brecht „... der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch...“.

Nach erster Berufsausbildung holt Detlef 1968 im zweiten Bildungsweg sein Abitur nach, studiert an der FU Berlin Psychologie und stürzt mit Kopf und Kragen in die 68er Stundentenrevolte mit Kommune, Kinderladen, Marxismus, Protest usw. Zwei Hinweise spielen dabei eine zentrale Rolle in seiner Politisierung nach links: der von Horkheimer, dass, wer vom Kapitalismus nicht reden will, vom Faschismus schweigen solle, und der von Adorno, dass alle Erziehung nach Auschwitz eine andere sein müsse. Er tritt in der damals viel umstritte nen Kinderladenarbeit für eine neue antiautoritäre, widerständige Erziehung ein. In der Folge versucht er mit vielen Mitstreitern eine neue Pädagogik in die Erziehungs- und Bildungs-Praxis einzubringen. Er wird 1975 Berater und Fortbildner für die evangelischen Kindertagesstätten in Berlin-West und initiiert verschiedene Projekte für ein neues Leben mit Kindern.

Auf der Suche nach politischer Gemeinschaft nimmt er 1974-75 Kontakt zur Freien Deutschen Jugend Westberlin (FDJW) und zur Sozialistischen Einheitspartei Westberlin (SEW) auf und wird dort aktives Mitglied. Maßgeblich war hierbei für ihn auch, dass er in diesen Organisationen authentische antifaschistische Widerstandskämpfer und Alt-Kommunisten antraf und seine politischen und pädagogischen Ideen Anklang fanden. Detlef bezieht öffentlich politisch Stellung, was ihm in seiner ersten beruflichen Tätigkeit als Fachlehrer im Friedrich-Fröbel-Haus 1974 zum Verhängnis wird.
Hier wird er noch während seiner Probezeit unter fadenscheinigen Begründungen gekündigt. Wie er später erfährt, wird er jahrelang bespitzelt. Erst 1993 wird ihm seine Akte vom Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt, mit der Bemerkung, dass seine Observierung mit der Auflösung der SEW nun eingestellt worden sei.

In der beeindruckenden politischen Kultur und Breite der Friedensbewegung der 1980er Jahre arbeitet Detlef in der damals gegründeten „Initiative Jugend gegen Aufrüstung“ mit. Hier entsteht eine enge Zusammenarbeit zwischen der FDJW, den Falken, der Evangelischen Jugend, der Freidenkerjugend, den Jungsozialisten, der Naturfreundejugend. Das Bündnis organisiert friedenspädagogische Aktionen, u.a. die gemeinsamen Kinderfriedenscamps während der Pfingstferien unter dem Motto „Keinen Sechser für Raketen – Kinder brauchen die Moneten“. Die teilnehmenden Gruppen entwerfen mit den Kindern Theaterstücke und organisieren politische Aktionen. Später führt Detlef zusammen mit Schülergruppen von Greenpeace diese Kindercamps zu umweltpolitischen Themen weiter.

Zu seinen zentralen Themen - Erziehung zur Friedensfähigkeit, Kindheit und Gesellschaft, Rechte der Kinder, Leben mit Kindern im Einklang mit der Natur - kommt auf dem Hintergrund zunehmen der Gewalt zu Beginn der 1990er Jahre das Thema Männlichkeit hinzu - genauer: die Zurichtung des Jungen zum Mann im Sinne einer auf Größenwahn, Konkurrenzkampf und Gewaltbereitschaft fixierten Männerrolle. Verstehende Jungenarbeit in Bildungs– und Erziehungseinrichtungen (auch
im Sinne gewaltpräventiver Ansätze) ist dann in seiner Berufsentwicklung sein abschließendes Thema.

1987-88 beginnt sich Detlef verstärkt mit den Widersprüchen des sogenannten Realsozialismus auseinanderzusetzen. Mit der „Wende“, sprich: dem Scheitern des Sozialismus–Versuchs und der damit verbundenen für ihn bis heute schwer wiegenden Enttäuschung verlässt Detlef zwar die SEW, setzt jedoch politische Aktivitäten fort.
Er wird Koordinator für die Schülergruppen von Greenpeace in Berlin-Brandenburg und Mitglied von ATTAC – Deutschland. 2007 wird er, vom Programm dieser Partei bis heute überzeugt, Mitglied der Partei DIE LINKE, nimmt an Mitgliederversammlungen seines Bezirksverbandes Tempelhof-Schöneberg und an Versammlungen der Kommunistischen Plattform teil.

Heute fragt sich Detlef, warum es angesichts der Klimakrise, Hochrüstung und Konfrontationspolitik gegen Russland und China so wenig Widerstand gibt. Er verfolgt sehr sorgenvoll die aktuelle Rechtsentwicklung und würde sogar schwierigen Kompromissen mit SPD und Grünen zustimmen, um diese Entwicklung zu stoppen.

Was Detlef heute, 77jährig, feststellt: „Mein Leben verlief seit den 68-ern in großen Zügen politisch im Sinne einer fundamentalen und bis heute berechtigten Kritik an der menschenverachtenden, gewalttätigen kapitalistischen Systemlogik, immer auch mit Priorität auf Kindheit und öffentliche Erziehung in unserer Gesellschaft .Im Zeitfenster dieses Systems entstanden die großen Ideen des Sozialismus-Kommunismus. Nun aber sind alle Sozialismus-Versuche gescheitert, an die ich große Hoffnungen geknüpft hat te und bereit war, viele repressive Strukturen in ihnen zu übersehen. Trotz alledem jedoch kann und will ich die Hoffnung auf eine antikapitalistische Entwicklung nicht aufgeben. Das letztendlich jedoch nach meiner Auffassung eigentlich furchtbare an dieser tragischen Geschichte ist das „übriggebliebene“ alte System, dass nun unange fochtener denn je sich diese Welt unter den Nagel reißt. Hierzu noch zum Abschluß die Frage von Jean Ziegler (2002), die auch meine ist: Wie gelingt es den neuen Herrschern der Welt, sich an der Macht zu halten, wo doch die Unmoral, die sie leitet, und der Zynismus, der sie erfüllt, für niemanden zweifelhaft sind? Wie kann es sein, dass auf einem mit Reichtümern gesegneten Planeten Jahr für Jahr Hunderte Millionen von Menschen Opfer von äußerster Armut, gewaltsamem Tod und Verzweiflung werden? Und das unvergessliche Wort unseres Berthold Brecht: Wer niedergeschlagen wird, der erhebe sich! Wer verloren ist, kämpfe! Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?“
Das Kollektiv: Marianne, Andreas und Carsten

 

Auswahl der Veröffentlichungen von Detlef Stoklossa:

 Handbuch für Kindertagesstätten (mit Bader, Otte, Rowohlt 1977)

 Wut im Bauch - wider die Zurichtung des Jungen zum Krieger (Lambertus 2001)

 Leben mit Jungen in Kindertageseinrichtungen (Expertise, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, 2001)

 Gewaltpräventive Jungenarbeit in Kindertageseinrichtungen (Expertise, Deutsches Jugendinstitut, 2007)

 Die Kinder vor allem (in: Engagement mit Herz und Verstand, Frieling 2010)