Ansprache am 15.Januar 2014 vor dem Haus Cranachstrasse 58, in dem Rosa Luxemburg von 1903 bis 1911 gewohnt hat und wo jährlich die Friedenskoordinataion Friedenau eine Gedenkveranstaltung durchführt.

Liebe Freundinnen und Freunde,

Drei Dinge möchte ich von Rosa Luxemburg lernen, möchte mich von ihr zu drei Dingen ermutigen lassen: 

1) Sagen, wie es ist, sagen WAS ist. Als der Kaiser sich rühmte, dass es den deutschen Arbeitern gut gehe und dass die Sozialgesetzgebung in diesem seinem Lande einzigartig gut sei, hat sie widerspochen, sie hat gesagt, was ist – und sie erhielt drei Monate Gefängnis wegen Majestätsbeleidigung. WIE es in Deutschland damals war, können wir nachlesen in der Literatur, wir können es auf den Bildern von Heinrich Zille sehen. - Festzustellen, dass billige Wohnungen gebaut wurden, genügt nicht: die Armen, die die Miete nicht bezahlen konnten, haben Neubauten „trocken gewohnt“, wie man damals sagte: d.h. sie  haben so lange umsonst oder fast umsonst in diesen Neubauten gewohnt, bis die Feuchtigkeit aus den Wänden entwichen war. Die Zahl der Kinder, die – wie es damals hiess – die Schwindsucht hatten, war unverhältnismässig. Tucholksy hat esetwaqs später auf seine Art gesagt: Man kann Menschen mit einer Wohnung auch totschlagen.

Sagen was ist, sagen was heute ist, wenn wir von offizieller Stelle hören, wie gut Deutschland da steht, dass z.B. die Preise kaum gestiegen sind. Ja, es stimmt, die Preise für Benzin, Computer, smartphones usw. sind kaum oder gar nicht gestiegen. Aber hilft das den meisten Rentnern, die weder Auto noch Computer haben? Die merken aber, wenn die Preise für öffentliche Verkehrsmittel wieder mal steigen, für  Lebensmittel und Mieten. Dass die Preise für Benzin, Computer usw. relativ stabil geblieben sind, hilft das der Kassiererin, die manchmal noch abends um zehn oder elf an der Kasse von Kaisers oder Edeka sitzt, die sich und ihr Kind ernähren muss, die sich auch mal gern im Urlaub erholen möchte und die ihr Kind mit auf Klassenfahrt schicken möchte, ohne fünf Anträge auf finanzielle Unterstützung stellen zu müssen, die ihr dann gewährt wird oder auch nicht - sagen wie es ist, sagen was ist.

2) Und dann möchte ich von Rosa Luxenburg lernen: sagen WARUM das so ist.   Rosa Luxemburg hat nach Deutschland gefragt, nach Europa – UND sie hat weiter gesehen. Sie hat, so würden wir heute sagen, bereits von der Globalisierung gesprochen. Sie hat gefragt, warum die Menschen in anderen Kontinenten immer ärmer werden, sie hat gefragt, warum die Länder Europas Kriege führen.

Vielleicht sind wir uns nicht einig, wenn es darum geht, die Ursachen zu benennen. So möchte ich das, was Rosa Luxemburg über das WARUM sagte und schrieb, mit einem Satz wiedergeben, der vor wenigen Wochen gesagt wurde, und zwar vom höchsten Repräsentanten der katholischen Kirche. Der Papst hat Ende vorigen Jahres gesagt bzw geschrieben: Dieses Wirtschaftssystem tötet. - Sagen, wie es ist.

3) Und dann möchte ich mich von Rosa Luxemburg ermutigen lassen, darum zu kämpfen, dass es nicht so bleibt, wie es ist. Schon vor dem erstenWeltkrieg hat sie immer wieder geschrieben, gesagt, gerufen, dass Krieg kein Mittel der Politik sein darf, dass die Opfer von Kriegen nicht die sind, die sie beschliessen, sondern die normale Bevölkerung und die Armen; dass Kriege keinen Frieden und keine Gerechtigkeit erzeugen; dass Kriege nicht schön geredet und auch nicht banalisiert werden dürfen. Auch die, die überleben, sind geschädigt, manchmal fürs Leben, gleich auf welcher Seite sie waren.

4) Ihr Tod soll uns mahnen. Walter Jens beschreibt ihn so: „Da kommt Röschen, die alte Hure“, riefen die Soldaten, als die Gefangene das Hotel Eden betrat, um misshandelt und herumgeschleift zu werden. Einer der Beteiligten bot später einen Schuh aus, in der Küche des Eden-Hotels, den die Umhergezerrte verloren hatte – in einem Totentanz, wie er schauerlicher nicht erdacht werden kann.“

Ihr Tod soll uns mahnen, nicht zur Ruhe kommen  lassen, zu widerstehen, so gut wir können, wenn Menschen andere Menschen foltern und misshandeln.

Und zum Schluss möchte ich uns allen etwas mit auf den Weg geben, besondes denen, die politisch arbeiten, einen Satz, den Erich Fried gesagt hat:

Es reicht nicht, dass ein Mensch das Richtige denkt, sondern dass der, das Richtige denkt ein MENSCH ist. Manchmal schimmert das sogar in ihren polemischen Schriften durch, z.B. wenn sie die Folgen des Krieges beschreibt. Dass sie, die das Richtige gedacht hat, ein Mensch war, wird auch noch heute ganz deutlich in ihren Briefen, die von Verständnis und Sensibilität zeugen, die sich in andere Menschen hineindenken, hineinfühlen. Auch als sie im Gefängnis war, krank, kraftlos, hat sie sich um andere gesorgt. Einiges wissen wir auch von ihrer Mitarbeiterin, Sekretärin, Freundin Mathilde Jacob. Als Erich Fried den Satz schrieb vom Menschen, der das Richtige denkt, hat er ganz bestimmt auch an Rosa Luxemburg gedacht, vielleicht ist er sogar durch sie dazu gekommen, diesen Satz so zu formulieren: Es reicht nicht, dass ein Mensch das Richtige denkt, sondern dass der, das Richtige denkt ein MENSCH ist.     

Ich danke Euch, liebe Freundinnen und Freunde, dass Ihr heute hierher gekommen seid, um Rosa Luxemburg zu ehren!

Horsta Krum