Erfahrungen eines DDR-Wirtschaftslenkers

Prof. Dr. Karl Döring berichtete aus seiner Zeit als Generaldirektor in der DDR-Stahlindustrie und von den Erfahrungen mit der Treuhand Vize-Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali in der DDR, Generaldirektor des VEB Bandstahlkombinats und Direktor des Eisenhüttenkombinats Ost (EKO) – und  nach der Wende: kurzzeitig Stellvertreter von Rohwedder in der Treuhand und Retter des Stahlstandorts  Eisenhüttenstadt als Vorstandsvorsteher der EKO Stahl AG: Prof. Dr. Karl Döring, Jahrgang 1937, kann viel erzählen über die Industrialisierung der DDR, über den Anspruch einer sozialistischen Wirtschaft, über Stärken und Fehlsteuerungen. Aber auch: über die Deindustrialisierung der DDR im Interesse westdeutscher Konzerne nach der Wende. Und er kann vergleichen. Eine kapitalistische Wirtschaft kann keine soziale Gerechtigkeit erzeugen, resümierte er am Donnerstagabend in der Geschäftsstelle der LINKEN Tempelhof-Schöneber („Rote Insel“) vor rund 20 interessierten Zuhörer_innen. Döring stammte selbst aus einfachsten Verhältnissen: aus einer Familie von Webern. Das traf für rund zwei Drittel der Generaldirektoren in der DDR zu.
Die Dankbarkeit für den Aufstieg, der durch die neue Gesellschaft möglich wurde, erklärte einen Teil der Motivation der Generaldirektoren, die nur rund dreimal so viel verdienten, wie ein einfacher Arbeiter im Kombinat – kein Vergleich zu der Lohnspreizung, die wir heute in vielen Unternehmen haben.

Auch die Probleme der DDR-Planwirtschaft wurden diskutiert: Pläne und gesellschaftliche Erfordernisse passten im Laufe der Zeit immer weniger zusammen. Die Spielräume für die Lenkung der Betriebe fehlten ebenso wie marktwirtschaftliche Elemente, die zwischen Angebot und Bedarf hätten vermitteln können. Leistungsanreize waren nicht oder falsch gesetzt. Deutliche Defizite in der demokratischen Entwicklung kamen hinzu.

Die Produktivität blieb hinter der des kapitalistischen Auslands zurück. Zwangsläufig, denn der Anspruch, dass die Wirtschaft einer sozial gerechten Entwicklung dienen solle, verträgt sich nicht mit maximaler Ausbeutung der Menschen. Insofern war das Versprechen, den Westen überholen zu wollen, vielleicht nie realistisch, so Döring. Die Grundorientierung  der DDR-Wirtschaft auf gesellschaftlichen Bedarf statt auf Profitstreben verteidigte Döring dennoch. Als nach der Wende die DDR-Industrie abgewickelt wurde, war auch EKO in Gefahr.
Döring erinnert sich an den Wechsel von Rohwedder zu Breuel im Jahr 1991, nach Rohwedders Ermordung. Von da an wurde  der Ansatz, die DDR-Industrie zu modernisieren, aufgegeben und durch gnadenlose Privatisierung ersetzt – mit dem Ergebnis von flächendeckender Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit. Der Stahlstandort Eisenhüttenstadt blieb erhalten – auch dank des Einsatzes von  Karl Döring.
Alexander King