„Geschichte lebendig werden lassen“

Das 20. Jahrhundert ist seit zwölf Jahren vorüber. Dennoch wirkt es massiv weiter bis in die heutige Zeit und dieses wird auch noch eine Weile so anhalten. Geschichte baut aufeinander auf. Gleichzeitig ist eine zunehmende Geschichtsvergessenheit zu bemerken. Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung mögen die Medien haben, die politische Auseinandersetzungen zwar tagesaktuell, oftmals aber völlig außerhalb von historischen Bezugsrahmen und Vorgeschichten darstellen, so dass sie sich wie unverbundene singuläre Ereignisse präsentieren. Zeitzeugen insbesondere der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden in absehbarer Zeit als historisches Gedächtnis und authentische Gesprächspartner nicht mehr zur Verfügung stehen. Wie aber lassen sich insbesondere jungen Menschen die geschichtlichen Ereignisse und Erfahrungen des 20. Jahrhunderts einprägsam und lebensnah erfahrbar machen?

Dem 1943 in Berlin geborenen Kinder- und Jugendbuchautor Klaus Kordon gelingt dieses mit seinen Erzählungen und Romanen auf ganz fantastische Weise. „Ich glaube, wenn man Geschichte erzählen will, muss man sie aus der Sicht derer erzählen, die unter dem, was die oben machen, am meisten leiden“, sagt er in einem aktuellen Interview. Seine Romanfiguren sind lebendig und realistisch in ihrer Zeit verankert. Ihre jeweiligen Lebensumstände, mit denen sie konfrontiert sind und an denen sie sich reiben, werden authentisch geschildert und erklärt.

In seiner „Trilogie der Wendepunkte“ behandelt er anhand des Schicksals einer Weddinger Familie aus der Ackerstraße die Novemberrevolution („Die roten Matrosen oder Ein vergessener Winter“), das Ende der Weimarer Republik („Mit dem Rücken zur Wand“) und das Kriegsende 1945 („Der erste Frühling“). In „Julians Bruder“ schildert er die Geschichte zweier Berliner Jungen. Bei Kriegsende sind sie beide untergetaucht: Julian als Jude schon länger, Paul will als Flakhelfer nicht noch kurz vor dem Ende für den „Führer“ fallen. Als die Rote Armee endlich Berlin befreit, werden beide verhaftet und kommen in ein sowjetisches Internierungslager.  Deutsch-deutsche Geschichte zwischen 1961 und dem Fall der Mauer 1989 wird in den Romanen „Krokodil im Nacken“ und seiner Fortsetzung „Auf der Sonnenseite“ geschildert. In der von Peter Schimmel bebilderten Erzählung „Die Lisa. Ein Leben“ geht es um neunzig Jahre im Leben von Lisa. Geboren in der Kaiserzeit, Jugend im Ersten Weltkrieg, Hochzeit in den „Goldenen Zwanzigern“, reicht ihr Leben bis in unsere Tage. „Ein Bilderbuch über uns Menschen und die Hoffnung, die uns ein Leben lang begleitet“, heißt es auf dem Bucheinband.

Andreas Bräutigam