Jobcentervermittlung: Sittenwidrige Löhne, mit Duldungssystem

Offensichtlich haben die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter wenig Interesse, sittenwidrigen Beschäftigungen einen Riegel vorzuschieben. Pressemitteilungen bringen es immer wieder zum Vorschein, dass in diesem Bereich noch allzu viel im Argen liegt. Um diese unhaltbaren Zustände zu beenden, müssten mehr Anstrengungen seitens der Jobcenter, der Arbeitsagentur und des Senats unternommen werden, als dies bisher der Fall ist. So entscheiden letztendlich allein die Jobcenter, ob und wann gegen zu geringen Lohn vorgegangen wird.

Zur Sittenwidrigkeit bei Löhnen gibt es gerade von der herrschenden Politik keine klare Aussage. Während beispielsweise von den Sozialgerichten und den Gewerkschaften klar geregelt ist, dass eine Sittenwidrigkeit dann vorliegt, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht. Meist sind es nur Stichproben der Jobcenter oder Gerichtsurteile, die diese Ungerechtigkeit aufdecken.

Laut einer Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit gelten erst Stundenlöhne von »deutlich unter drei Euro« als sittenwidrig, d.h. erst dann werden Jobcenter aufgefordert, aktiv zu werden. Durch diese Vorgaben werden Unternehmen förmlich zum Lohndumping ermutigt. Nach der Skandalisierung in den Medien wird nun in Berlin verstärkt nach Lösungen gesucht, um sittenwidrige Löhne zu unterbinden. So arbeitet die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg seit November 2013 an einer Verfahrensoptimierung. Demnach „würden alle Verdienstbescheinigungen bei Neu- und Weiterbewilligungsanträgen geprüft“. Aber es wird keine Statistik über Verstöße bei sittenwidrigen Löhnen geführt und es werden auch keine Beratungen seitens der Jobcenter für die Arbeitssuchenden angeboten. Obwohl es laut SGB (Sozialgesetzbuch) vorgeschrieben ist, Arbeitssuchende über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären, wird dies nicht eingehalten. Viel zu wenige Jobcenter-MitarbeiterInnen, die selbst nur befristet angestellt sind, fürchten, eine fehlerhafte Auskunft zu geben und haftbar gemacht zu werden. Sie verweisen bei Nachfrage eines „Kunden“ an die Gewerkschaften, was unzulässig ist. Nur so lässt sich u.a. der Missbrauch bei unterbezahlten Löhnen erklären, was manche Unternehmen zu einem dubiosen „Geschäftsmodell“ entwickelt haben. Ein Deal zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen und zu Lasten der Allgemeinheit. Nach einer Studie von Markus Wahle (Berliner Arbeitslosenzentrum ev. Kirchenkreise) bezieht jeder dritte Beschäftigte - und in den östlichen Bundesländern sogar jeder zweite - ergänzende Leistungen vom Jobcenter bei Löhnen unter 5 Euro. Allein in Berlin sind es über 105.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ergänzende Leistungen bekommen, weil sie von ihrem Lohn nicht leben können, davon fast 55% sozialversicherungspflichtig Beschäftige. Nach der Studie ist trotz sinkender Arbeitslosenzahl die Zahl der Aufstocker nicht zurückgegangen. Symptomatisch heißt es in solchen Verträgen: „Entgelt nach Vereinbarung“. Offensichtlich sieht die Ausländerbehörde bei dieser Nebelformulierung genauer hin; ein/e Ausländer/in, die/der hierzulande einen dauerhaften Erwerbsstatus erlangen möchte, muss zwingend ein Erwerbseinkommen ohne Aufstockung nachweisen. Dass sich generell an diesem Missstand sittenwidriger Löhne etwas verändert, muss auch vorrangige Aufgabe der Gewerkschaften sein. Die nur alle drei Monate stattfindenden Beiratssitzungen sind bei der Behebung dieses Übels offenbar bisher nur zaghaft vorangekommen. Vorschläge des DGB, z.B. innerhalb der Jobcenter eine interne Statistik zu führen oder eine gute Informationsverzahnung (z.B. zu Tarifregister) zu erlangen, wäre immerhin schon einmal ein guter Anfang. Dem folgen müssten die obligatorischen Beratungsangebote, für die jedoch der Senat keine Notwendigkeit sieht, wie die Abgeordnete Elke Breitenbach (DIE LINKE) kritisiert. Durch die Deregulierung der Arbeit wird es noch lange dauern bis wirklich eine umfassende Kontrolle, Beratung und eine umfassende Verbesserung gerade im Niedriglohnbereich erreicht werden. Kuschelkursartig sich mit Arbeitgebern im Rahmen von Ermahnungen zu verständigen, reicht nicht aus: Die Sanktionsmöglichkeiten, welche die Gesetzeslage gegen Dumpinglöhne hergibt, müssen ausgeschöpft werden.

Elisabeth Wissel