Kiezspaziergang in Friedenau

Einen Kiezspaziergang besonderer Art organisierte die Basisorganisation Schöneberg mit Petra Fritsche, bekannt von der Stolpersteininitiative, in Friedenau. Friedenau gilt als der wohlhabendere Ortsteil Schönebergs. Zugleich ist er mit über 27.000 Einwohnern auf 1,65 km² der am dichtesten besiedelte Ortsteil von Berlin. Entstanden ist Friedenau 1871 als Landhaussiedlung, erläuterte Frau Fritsche. Den Namen verdankt der Ortsteil der Gattin des Baumeisters Hermann Hähnel, der als Aufsichtsratsmitglied dem am 9. Juli 1871 konstituierten Landerwerbs- und Bauverein angehörte.

Schon damals gab es Wohnungsnot in Berlin, verursacht durch den starken Zustrom von Menschen, die Arbeit in der Stadt suchten. Jedoch war von vornherein auf diesem Terrain hauptsächlich ein Wohnviertel für den Mittelstand geplant. Dies macht heute noch die aufwändige Bauweise deutlich. Friedenau zeichnet eine sehr hohe Denkmaldichte aus. Die kleinen Straßen mit schmucken Häusern mit Jugendstilfassade und Vorgärten sind eine Augenweide.

Zugleich verbanden wir den Kiezspaziergang mit der Spurensuche nach antifaschistischen WiderstandskämpferInnen. Denn auch in diesem eher bürgerlichen Milieu passten sich viele nicht an das Nazi-Regime an. Viele Intellektuelle wie Künstler oder Schriftsteller leisteten auf ihre Art Widerstand, indem sie ein nicht ungefährliches Doppelleben führten. Günther Weisenborn zum Beispiel, zuletzt Dramaturg am Schillertheater, unterstützte die Widerstandsorganisation Rote Kapelle. 1941 heiratete er Margarete Schnabel (1914–2004), die er 1939 als Mitbewohnerin von Harro Schulze-Boysen kennengelernt hatte. Er war der Widerstandsorganisation behilflich, u.a. indem er Funkverbindungen einiger Mitglieder der Gruppe zu sowjetischen Organen aufrecht erhielt und Berichte und Informationen an die Gruppe weiterleitete. Im September 1942 wurde er verhaftet und vom Reichskriegsgericht wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Aufgrund der entlastenden Aussage eines Zellengenossen wurde das Todesurteil gegen ihn in zehn Jahre Haft umgewandelt.

Im April 1945 wurde Günther Weisenborn von der Roten Armee aus dem Zuchthaus Luckau befreit. Vor der Inhaftierung wohnte er in der Niedstraße 25.

Ebenfalls in der Niedstraße wohnte der Maler Karl Schmidt-Rottluff, dessen Werke 1937 in den deutschen Museen als „Entartete Kunst“ beschlagnahmt wurden. Seit September 1942 hatte Schmidt-Rottluff Kontakte zum Kreisauer Kreis, einer Gruppe, die den politischen Umsturz plante. Adolf Reichwein, auch ein Friedenauer, prägte maßgebend das Kulturprogramm des Kreisauer Kreises. Erwähnt werden müssen noch der Perelsplatz, der Cosimaplatz und der Adam-Kuckhoff-Platz.
Friedrich Justus Perels, geb. 13.11.1910, Jurist, war von 1922-1929 Schüler des 1. Friedenauer Gymnasiums. Heute heißt die Schule am Perelsplatz Friedrich-Bergius-Oberschule, sie erinnert mit einer Gedenktafel an den ehemaligen Schüler. Er half vielen Juden, Verfolgten und Angehörigen von KZ-Gefangenen. Am 13.4.1945 wurde er von der SS erschossen.

Der Cosima-Platz (benannt nach der Gattin von Richard Wagner) ist vor allem bekannt durch das gleichnamige Kino am Platz. Dort wurde 1947 der Antikriegsfilm „Ehe im Schatten“ uraufgeführt, wie gleichzeitig auch im Ostteil der Stadt.

Der Adam-Kuckhoff-Platz wiederum ist dem Widerstandskämpfer zum Erinnern und Gedenken gewidmet. So könnte die Liste mit Persönlichkeiten und interessanten Plätzen fortgeführt werden. Nicht zuletzt lebte der zur inneren Emigration gezwungene Erich Kästner hier („Kennst Du das Land wo die Kanonen blühen“), und natürlich wird man in Friedenau auch immer wieder an Rosa-Luxemburg gemahnt.

Insgesamt war die Begehung eine nachhaltige Bereicherung des Erinnerns und Gedenkens.
Elisabeth Wissel