Menschenrechte in Deutschland – keine Selbstverständlichkeit

Wenn in Deutschland von Menschenrechten die Rede ist, geht es immer um die anderen, etwa um Russland, wie zuletzt anlässlich des Staatsbesuchs von Putin. Es ist gut, auf die Verletzung von Menschenrechten in anderen Ländern hinzuweisen. Mindestens genauso wichtig ist es, auch in Deutschland die Einhaltung von Menschenrechten anzumahnen. Azize Tank, Direktkandidatin für DIE LINKE in Tempelhof-Schöneberg, erklärt, warum sie genau dies zum Schwerpunkt ihrer Politik gemacht hat. Mit ihr sprach Alexander King:

Azize, du engagierst dich zusammen mit deinem Mann für soziale Menschenrechte. Was versteht ihr darunter?

Mit meinem Mann Eberhard Schultz habe ich vor anderthalb Jahren eine Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation gegründet, die es sich zur Aufgabe macht, die sozialen Menschenrechte zu stärken. Sie ist als gemeinnützig anerkannt. Unter sozialen Menschenrechten verstehen wir das Recht auf soziale Sicherheit; das Recht auf Arbeit, gleichen Lohn und Koalitionsfreiheit; Erholung und Freizeit; soziale Betreuung, d.h. ein angemessener Lebensstandard bezüglich Bekleidung, Wohnung, ärztlicher Versorgung etc.; Bildung und kulturelle Betreuung und die Freiheit des Kulturlebens. Diese sind in einer Reihe internationaler Abkommen enthalten, die auch Deutschland ratifiziert hat.

Wie ist es um die sozialen Menschenrechte und ihre Realisierung  in Deutschland bestellt?

Im Grundgesetz sind sie nicht enthalten, deshalb können sie – im Gegensatz zu den Freiheitsrechten (Meinungs- und Pressefreiheit, Folterverbot usw.) – vor den Gerichten nicht eingeklagt werden. Und die früheren Errungenschaften des Sozialstaates werden Schritte für Schritt abgebaut.

Immer mehr Menschen in Deutschland wird ihr Recht auf Bildung, auf Wohnen und auf soziale und politische Teilhabe verweigert. Dies ist eine Folge der fehlgeleiteten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der letzten 15 Jahre und insbesondere der Agenda 2010. Die Hartz-Gesetze, die Ausdehnung von Leiharbeit und Niedriglohn und die faktischen Renten- und Lohnkürzungen haben zu mehr Armut in Deutschland geführt – und gleichzeitig die Superreichen immer reicher gemacht. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkriese tut ein Übriges. Ich möchte festhalten: Armut ist eine Menschenrechtsverletzung.

In Deutschland haben immer mehr Menschen nicht genügend Einkommen, um sich und ihre Kinder gesund zu ernähren. Vor allem Familien mit Kindern, ältere Menschen, Erwerbslose und Arbeitende in den Niedriglohnbereichen sind von einer selbstbestimmten Ernährung zunehmend ausgeschlossen.

Ein anderes Beispiel: Der Umgang mit Flüchtlingen, Asylsuchenden und Menschen ohne Papiere in der Bundesrepublik ist nicht menschenwürdig, ihnen werden Arbeit, angemessene Unterkunft medizinische Versorgung und Bildung weitgehend vorenthalten. .

Und wie steht es in dem Zusammenhang um die Partizipation?

Hierzu nur ein Beispiel: Alle Menschen haben ein Recht auf politische Teilhabe. Vielen Menschen mit Migrationshintergrund wird jedoch sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht vorenthalten, selbst wenn sie schon Jahrzehnte hier leben und Steuern zahlen.

Da ist also noch viel zu tun. Wie willst du es im Bundestag anpacken?

Die in den UN-Pakten festgeschriebenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (WSK-Rechte) müssen auch in unserer Verfassung verankert, gesetzlich geregelt und individuell sowie kollektiv einklagbar werden. Gerade hat Uruguay als 10. Land das Zusatzprotokoll der WSK-Rechte von 2008 ratifiziert, das damit in Kraft getreten ist. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass ein Ratifizierungsprozess auch in Deutschland angeschoben wird. Das wäre ein erster wichtiger Schritt, zur Durchsetzung der sozialen Menschenrechte bedarf es dann weiterer Kämpfe auf allen gesellschaftlichen Ebenen und der Bündelung aller Kräfte für eine soziale Gerechtigkeit, die diesen Namen verdient.

Dazu gehört auch die Regelung der aktive Teilhabe und Chancengleichheit aller benachteiligten Gruppen.