800 Jahre Marienfelde
Aus Anlass des 800jährigen Jubiläums unseres Stadtteils hatte das Marienfelder Kiezbüro des Abgeordneten Harald Gindra im Herbst eine historische Fahrradtour mit dem Schwerpunkt Antifaschismus organisiert. Wenige Marienfelder*innen wissen, wo sich diese Außenstelle des Konzentrationslagers Sachsenhausen befand, gleich in der Nähe des S-Bahnhofs Buckower Chaussee, am Nahmitzer Damm. Heute ist dort der Grünzug hinter dem See und ein Teil des Gewerbegebiets Motzener Straße. An das KZ erinnert kein Stein, keine Tafel und kaum ein Mensch sich mehr. Deshalb war es unsere erste Station. Von der Lichtenrader Geschichtswerkstatt berichteten Ruth und Andreas von ihren Recherchen über das Zwangsarbeitslager, in dem männliche Häftlinge aus Deutschland, Polen, der Sowjetunion und weiteren Ländern untergebracht waren. Ihre Arbeit bestand in der Errichtung bzw. Instandhaltung von Luftschutzbauten, dem Bau von Feuerlöschteichen, Aufräumungs- und Enttrümmerungsarbeiten nach Bombenangriffen, der Beseitigung von Bombenschäden an Häusern sowie der Entfernung von nicht explodierten Fliegerbomben. Im Anschluss berichtete Harald Gindra von der Bedeutung der Säntisstraße in der Rüstungsproduktion für den Zweiten Weltkrieg.
Weiter ging es zum Daimler Motorenwerk, wo ein Kollege der Industrie-Gewerkschaft-Metall über die fast 120jährige Geschichte des Werks erzählte. Im Motorenwerk wurden schon ab 1902 erste Elektroautos hergestellt. Während des Nationalsozialismus hingen Hakenkreuze am Werk, Kollegen die sich der Kriegsproduktion widersetzten wurden dort gefoltert, jüdische Mitarbeiter verschwanden spurlos, auch daran erinnert vor Ort bis heute nichts. Weiter ging die antifaschistische Radtour zum Thema „jüdisches Leben in Marienfelde“ zum ehemaligen Haus von Dr. Jakobssohn gleich neben dem S-Bahnhof Marienfelde. Jüdinnen und Juden waren Nachbar*innen damals bis zur Verfolgung. So auch Dr. Jacobssohn, er war ein sehr beliebter und beeindruckender Arzt, der Leuten wann immer er konnte tatkräftig half, nach der Machtergreifung der Nazis aber zum Flüchtling wurde, den Krieg aber überlebte. Dank einer Initiative unter anderem mit Hans Werner Fabarius, die sich auch mit Dr. Jacobssohns Töchtern treffen konnte, gibt es seit 1990 einen Gedenkstein an der Marienfelder Allee/ Ecke Belßstraße. Zusammen mit dem Vortragenden Pastor Grammel, der mahnte wie die Geschichten von Opfern auch Spuren der Täter sind, die uns Verantwortung deuten, ging es, vorbei an dem Übergangswohnheim Marienfelde, das auch eine wichtige Geschichte hat und das zusammen mit der Unterkunft im Trachenbergring jüdisches Leben heute in Marienfelde wieder zurück bringt, ging es zum evangelischen Friedhof Marienfelde. Denn, auch dies wissen viele nicht, die Kirchen hatten selbst Zwangsarbeitslager betrieben. Ein Teilnehmer schrieb im Anschluss diese Zeilen: „Besonders ein Pfarrer sprach bewegende Worte an bedeutsamen Orten; und was besonders war ein Hieb, dass die Kirche ein Lager selbst betrieb für Friedhöfe mit Zwangsarbeit und, das war seine Betonung, "betrieben" ohne Schonung... Aus seiner Sicht sind wir Jüngeren nicht schuldig, doch wir müssen sein geduldig, verantwortlich zu arbeiten gegen das Vergessen, um auch besser zu vermessen, wie wir wollen leben in unseren Landen, wo einst die Folterstätten standen.“ Leider hatten wir dann auch unangenehme Begegnungen mit beleidigenden Anwohnern, beim Tempelhof-Schöneberger-Register zur Erfassung diskriminierender Vorfälle musste ich den Fall melden.
Als Ausklang erfuhren wir bei Getränken von Harald Gindra mehr über die Geschichte der Arbeitslosenselbstorganisation in der idyllischen Naturwacht Marienfelde, einer ehemaligen Mülldeponie.
Katharina Marg für das Kiezbüro