Anders Wirtschaften nach Corona?

Elisabeth Voss

Elisabeth Voss

Kaum nehmen die Ansteckungen mit Corona ab, soll die Wirtschaft wieder hochgefahren werden. Das Konjunkturpaket zur Abfederung der Rezession ist auf Wachstum und Standortpflege ausgerichtet. Immerhin wurde auf die Abwrackprämie für fossil angetriebene Autos verzichtet, aber die Subventionierung von Elektroautos geht in die falsche Richtung. Statt Förderung des Inividualverkehrs wäre ein günstiger, besser noch kostenloser und vor allem flächendeckender öffentlicher Nahverkehr erforderlich.

Progressive Wissenschaftler:innen und Aktive der Klimagerechtigkeitsbewegung betonen schon lange, dass eine Rücknahme des Wirtschaftswachstums (englisch „degrowth“) notwendig ist. Es kommt allerdings darauf an, ob dieses Degrowth „by design or by desaster“ stattfindet, ob es also sozial verträglich gestaltet wird oder mit desaströsen Zuständen einhergeht. Mit Corona gelangte die Frage, was wirklich wichtig ist und was Menschen zum Leben brauchen, aus kleinen Politzirkeln ins Licht der breiten Öffentlichkeit. Wäre es nicht an der Zeit, diese Frage nun immer lauter zu stellen, statt mit einem wirtschaftlichen Weiter-So zielsicher ins klimakatastrophale Desaster zu steuern?

Ein anderes Verständnis von Wirtschaft

Wirklich wichtig wäre gerade jetzt ein anderes Verständnis von Wirtschaft, denn „die Wirtschaft“ gibt es nicht. Das Wirtschaften ist ein Prozess zur Herstellung des Lebensnotwendigen. Dieser hat heute aufgrund von Profitstreben, Konkurrenz und Wachstumsorientierung überwiegend destruktiven Charakter. Damit das Wirtschaften nach Corona anders funktioniert, müsste der Wirtschaft ihr Subjektstatus aberkannt werden. Denn die Wirtschaft hat kein eigenes Recht, sondern soll den Menschen dienen und für die Menschen da sein, nicht umgekehrt. In diesem Sinne hat die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth nachhaltiges Wirtschaften als Donut-Ökonomie veranschaulicht. Mit dem eingängigen Bild dieses süßen, fettigen Gebäckkringels zeigt sie, worum es beim Wirtschaften gehen sollte. Nur im Donut selbst können alle Menschen weltweit gut leben, wenn die inneren, sozialen Grenzen (zum Loch im Kringel) nicht unterschritten, und die äußeren, planetaren Grenzen (der äußere Rand des Donut) nicht überschritten werden. Es geht also um gute Lebensverhältnisse und um den Erhalt der Lebensgrundlagen. Sollten nicht in Anlehnung daran drei Nachhaltigkeitsziele Ökonomie, Ökologie und Soziales – die im 3-Säulen-Modell oder im Nachhaltigkeitsdreieck dargestellt werden – verändert werden? Die Wirtschaft an sich ist kein Ziel, sondern Mittel zum Zweck. Es kommt darauf an, in demokratischen Prozessen auszuhandeln, wie die sozialen und ökologischen Ziele erreicht werden können. Darum sollte die Ökonomie als Nachhaltigkeitsziel gestrichen und durch Demokratie ersetzt werden.

Nachhaltig und solidarisch Wirtschaften

Eine Wirtschaft für die Menschen und nicht für Profite ist keine Utopie, sondern es gibt sie bereits. Weltweit tun sich Menschen in kleineren oder größeren genossenschaftlichen Unternehmungen zusammen, um das Notwendige herzustellen, von Wohnungen über Lebensmittel bis zu nichtkommerziellen Medien und sozialen Angeboten. Neben dieser wirtschaftlichen Selbsthilfe spielen öffentliche Unternehmen eine besonders wichtige Rolle für die Versorgung. Im Gesundheitsbereich hat Corona daran erinnert, dass Privatisierung und Ausrichtung auf Profitabilität grundlegend falsch sind. Dem Umdenken müsste nun auch konsequentes Umsteuern folgen, ebenso wie in anderen Bereichen der Versorgung mit dem Lebensnotwendigen. Die Infrastrukturen für Energie und Wasser (v.a. Leitungsinfrastrukturen), Abwasser- und Müllentsorgung, Bildung und Mobilität gehören in öffentliche Hand. Das ist kein Plädoyer für Staatsbetriebe, die viel zu oft wie profitorientierte Unternehmen funktionieren (Beispiel Deutsche Bahn), sondern für öffentliche Unternehmen, die von den Beschäftigten, den Nutzer:innen und Vertreter:innen der öffentlichen Hand transparent und demokratisch gesteuert und kontrolliert werden.
Eine andere Wirtschaft beginnt vor Ort in den Kommunen und erfordert ebenso Neujustierungen auf nationalstaatlicher Ebene und in transnationalen Vereinbarungen. In der niederländische Hauptstadt Amsterdam erarbeitet die Verwaltung beispielsweise gemeinsam mit Kate Raworth einen Leitfaden für eine gedeihliche Stadtentwicklung im planetarischen Gleichgewicht. Damit soll das Donut-Modell für eine Wirtschaft nach Corona angewendet werden.
Die Ausrichtung der gesamten Wirtschaft auf die Herstellung des Lebensnotwendigen erfordert eine konsequente Demokratisierung der Wirtschaft. Es ist an der Zeit für eine umfassende Konversion der Produktion, einschließlich Forschung und Entwicklung, von militärisch zu zivil und von extraktivistisch zu ökologisch. Mehr dazu auf der Website der Autorin unter „Veröffentlichungen“: www.elisabeth-voss.de