Helga Ebbers – eine Bremerin kommt nach Berlin.

Carsten Schulz und Andreas Bräutigam

Helga Ebbers wird 1953 in Bremen, im Stadtteil Gröpelingen geboren. Es ist ein klassischer Arbeiterbezirk. Ihre Großeltern wohnten dort schon in den 20er Jahren in einer Genossenschaftssiedlung. Man kannte sich untereinander, war befreundet, politisch aktiv in SPD oder KPD und gewerkschaftlich organisiert. In der NS-Zeit wurde illegal Widerstand organisiert. Helgas Großvater – SPD-Mitglied und gewerkschaftlich aktiv – wurde relativ früh schon – wahrscheinlich 1934 – von der SA inhaftiert, mehrere Wochen weggesperrt und diszipliniert. Da er Frau und Kind hatte und diese nicht gefährden wollte, hat er seine politische Arbeit anschließend gelassen. Das Arbeitermilieu hat sich im Stadtteil erhalten und Helga ist – wie sie sagt – in einer „SPD-Blase“ aufgewachsen und entsprechend klassenbewusst geprägt.

Sie wächst in Gröpelingen auf, geht dort zur Schule und erlernt ihren Beruf als Drogistin und arbeitet später als Laborantin. Mit 19 Jahren tritt sie 1972 in die DKP ein. Dort findet sie eine „bunte Truppe“ Gleichaltriger, die die Aufbruchstimmung in Folge der 68er Studentenbewegung nutzen wollen, um die Gesellschaft positiv zu verändern. Gemeinsame politische Arbeit und Freizeitgestaltung schmiedet einen Freundeskreis, der sich bis heute erhalten hat. Sie trifft dort auch ihren ersten Mann, mit dem sie „sehr früh schon“ ein Kind bekommt und den sie heiratet.

Mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 ergeben sich für Helga erste Zweifel an der Politik der DKP, die zwischen den „guten – sozialistischen“ und „schlechten – kapitalistischen“ Kernkraftwerken unterscheidet und den Unfall herunterspielt. Es beginnt ein langsamer Lösungsprozess. Als 1989 die DDR scheitert und sich die DKP völlig zerstritten in verschiedene Fraktionen zerlegt, hat Helga „die Schnauze voll“ von Parteipolitik. Wie viele andere ihres Freundeskreises tritt sie aus der Partei aus. Ein Auseinanderlaufen nach fast 20 Jahren gemeinsamer politischer Arbeit kommt aber nicht in Frage. Man bleibt in Kontakt und trifft sich weiterhin regelmäßig zum politischen Austausch beim Stammtisch.

Helga – seit 1975 bei der Melitta Kaffee GmbH tätig – konzentriert sich fortan auf Gewerkschaftsarbeit. Sie wird Betriebsrätin und in der Folgezeit schließlich auch Vorsitzende des Konzernbetriebsrates. Da Melitta Kaffee keinen Tarifvertrag mit der NGG hat, mussten alle Dinge zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung vor Ort geregelt werden. Was auch bedeutet, dass sich der BR oft in Abwehrkämpfen vor den Ansinnen der Geschäftsleitung befand.

Die Gründung der Partei DIE LINKE im Jahr 2007 beobachtet Helga sehr genau und kommt zu dem Ergebnis: „Das könnte ja was werden. Das kann man sich ja mal anschauen.“ Sie tritt in die Partei ein und trifft auf viele Bekannte von früher. Gegen den anfänglichen Widerstand des Landesvorstandes baut sie zusammen mit Gleichgesinnten den Ortsverband Gröpelingen auf. Da sie gut vernetzt sind, aktiv auf die Bevölkerung zu gehen mit Infoständen und Veranstaltungen, erzielen sie auch sehr gute Wahlergebnisse. Helga engagiert sich zunächst als Bürgerdeputierte und wird 2011 und 2015 zweimal als Beirätin in das Kommunalparlament gewählt.

Im Frühjahr 2016 geht Helga nach über 40-jähriger Betriebszugehörigkeit bei Melitta in Rente. Ihr zweiter Mann ist schon gestorben und sie ist allein. Schon seit langen steht für sie fest: „Ich gehe nach Berlin!“ Berlin und seine Geschichte hat sie immer fasziniert. Bei einem mehrtägigen Besuch 1990 hat sie „die beiden Städte (Ost- und Westberlin) für sich erschlossen und in ihrem Kopf zusammengesetzt.“ Sie hat in allen Stadtteilen Spaziergänge von West nach Ost gemacht, gefragt „Wo war die Grenze?“ und die zuvor zertrennten Stadtstrukturen historisch und aktuell wieder zusammengedacht. Im September 2016 ist es dann soweit: Sie mietet ihre Berliner Wohnung: Wieder eine Genossenschaftswohnung; den Tipp hat sie von einem Betriebsratskollegen erhalten. Ihren ursprünglichen Plan, „die Stadt kennenzulernen“, erweitert sie: „Wenn Du schon hier bist, gehst‘ zu den LINKEN!“

So kommt sie in den Bezirksverband Tempelhof-Schöneberg. Diesen erlebt sie als fortschrittlich, progressiv und dem realen Leben und den Bedürfnissen der Menschen zugewandt. Das entspricht auch ihrem Politikverständnis. Gemeinsam handeln, sich politisch und kulturell bilden und gesellschaftlich etwas bewirken sind nach wie vor ihre Anliegen. Dabei ist alles eine Klassenfrage:
 

Antirassismus, der Schutz von Minderheiten und das Aufstehen gegen Antisemitismus sind essentiell, ersetzen aber nicht die soziale Frage und die Erkenntnis, dass Profitmaximierung anstelle moralischer Überlegungen die maßgebliche Motivation der herrschenden gesellschaftlichen Akteure im Kapitalismus ist.
 

Auch die Klimaschutzbewegung hat dieses in Teilen erkannt: „Klimapolitik zu betreiben, ist nicht nur eine Frage des guten Willens, sondern von Interessenpolitik, von Profit- oder Nichtprofitmachen.“

Carsten Schulz

Andreas Bräutigam