Sozial oder was?

Es ist wieder soweit: Wir stehen kurz vor einer Bundestagswahl und Politiker_innen jeglicher Couleur entdecken wieder ihr „soziales Gewissen“.

Ob nun eine Ursula von der Leyen den Korpsgeist in der Bundeswehr aufspürt oder eine Andrea Nahles zum x-ten Mal die Agenda 2010 ob ihrer angeblich positiven Effekte für die Gesamtgesellschaft verteidigt: Den Blick für die tatsächlichen Bedürfnisse und Nöte der Menschen haben sie fast alle verloren.

Unser Kompass dagegen heißt: Vorrang für Soziales!

Das bedeutet für uns zum Beispiel auch die tatsächliche Umsetzung von Barrierefreiheit in Schulen. Und dies auch in den sogenannten MEBs (Mobile Ergänzungsbauten), die mehr und mehr als Übergangslösung für sanierungsbedürftigen Schulgebäude eingesetzt werden. Schick und mit Whiteboards und intelligenten Beamern ausgestattet, sind diese nur barrierearm und nicht, wie es bei einem Neubau möglich und zu erwarten wäre, barrierefrei.

Man geht immer noch davon aus, dass Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, schon irgendwie Hilfe erhalten werden in einem so großen Gebäude, wo ja praktisch immer jemand zur Stelle ist. Dass das eigentliche Ziel von Barrierefreiheit aber in Selbstwirksamkeit und Eigenständigkeit besteht, lassen die Verantwortlichen dabei unter den Tisch fallen oder sie verstehen es schlichtweg nicht.

Die Schulen selbst sind guten Willens, die seit 2009 geltende Uno-Behindertenkonvention umzusetzen. Doch der Mangel an Personal sowie an Erfahrung mit Kindern, die nicht einfach so mit dem Lernplan mitlaufen und bei denen es nicht einfach mit der einen oder anderen zusätzlichen Verständnisfrage getan ist, und nicht zuletzt die fehlende Ausstattung der Schulen mit sachgerechten Therapie- und Rückzugsräumen für die Schüler_innen machen einen inklusiven Alltag an den Schulen fast unmöglich.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Kluft zwischen Gymnasien und Real- und Gemeinschaftsschulen bei dem Thema größer wird: Während die einen nur ausgewählte Förder-Schüler_innen aufnehmen, müssen die anderen sehen, wie sie neben ihren sowieso schon größeren Herausforderungen auch noch die Mehrzahl der Inklusions- Schüler_innen in ihren Schulalltag einbinden.

Diese Situation könnte langfristig zu einem Rollback und zu einem vermehrten Rückgriff auf die Sonderschulen führen, wo sich Schüler_innen und Eltern insgesamt besser mitgenommen und betreut fühlen, ohne zu schnell durchs Raster zu fallen.

Wirkliche Inklusion ist mit unserem auf Leistung getrimmten Schulsystem nur schwer zu vereinbaren, und es steht die Frage im Raum, wie ein solch gnadenlos selektierendes Schulsystem wie unseres, ein Gesamtwerk gemeinsamen Lernens werden soll, ohne dass man seine Struktur grundlegend in Frage stellt?

Bildung sollte immer zum Ziel haben, dass wir uns gegenseitig als Menschen sehen und nicht nach Äußerlichkeiten beurteilen.

Dafür treten wir ein.

Carolin Behrenwald