Alexander King: „Erfolgreiche Friedensmobilisierung trotz aller Widerstände“
Die Veranstalter der Friedensdemo sind über die Teilnahme sehr zufrieden, hadern jedoch mit der Rezeption durch die Medien.
Gastkommentar von Alexander King MdA, veröffentlicht in der Berliner Zeitung vom 26.2.2023.
Über die Teilnehmerzahl beim Aufstand für Frieden wird gestritten. Fest steht: Es waren sehr, sehr viele. Jeder, der vor Ort war, und jeder, der gestern in Mitte oder Tiergarten unterwegs war, hat es erlebt: Der Zustrom zur Kundgebung am Brandenburger Tor war endlos. Die Polizei musste den abgesperrten Bereich erweitern und Menschenmassen großflächig umleiten – wegen Überfüllung. Der S- und U-Bahnhof Brandenburger Tor wurde zeitweise gesperrt. Die Züge hielten dort nicht mehr. Wer Zeitungen, Flugblätter oder Hochhalteschilder austeilte, stand schnell mit leeren Händen da.
Vormittags waren alle Regionalzüge nach Berlin brechend voll. Und noch Stunden nach der Kundgebung drängten sich Rückreisende im Bahnhof Friedrichstraße. Dazu kamen die vielen Reisebusse, die von lokalen Friedensinitiativen, Gewerkschaftern und Kreisverbänden der Linken organisiert worden waren. Basierend auf Ordneraussagen, Foto- und Videomaterial waren es 50.000 Teilnehmer und damit deutlich mehr als die angemeldeten 10.000.
Für die Veranstalter wiegt der Erfolg umso mehr, als wir die Kundgebung in einem sehr kleinen Team innerhalb von nur zwei Wochen auf die Beine stellen mussten. Ohne die Unterstützung durch hauptamtliche Apparate von Parteien, Gewerkschaften, Sozialverbänden oder Kirchen. Und zunächst ohne Budget. Eine echte Graswurzel-Aktion. Die Initiatorinnen haben den Nerv getroffen. Frieden für die Ukraine durch diplomatische Initiativen statt durch immer weitere Waffenlieferungen und einen langen Stellungskrieg, dieses Anliegen teilen viele. Und trotz Eiseskälte, Schnee und Wind war es den Menschen so wichtig, dass sie zu Zehntausenden kamen.
Offenbar hat die Teilnahme Zehntausender an unserer Kundgebung einigen Medien-Vertretern einen regelrechten Schock versetzt. Und dass alles friedlich blieb und das Bild der Kundgebung von ganz normalen friedliebenden Menschen, von, teilweise weit angereisten, Paaren und Familien mit Kindern dominiert war und nicht etwa, wie von einigen Medien und politischen Gegnern herbeigesehnt, von Querfront, AfD & Co., machte es für sie offenbar noch unerträglicher. Anders kann ich mir den Versuch, die Veranstaltung kleinzuschreiben, nicht erklären.
Die angebliche massenhafte Mobilisierung von Rechten zur Kundgebung, in manchen Medien in der offensichtlichen Absicht herbeigeschrieben, Menschen von der Teilnahme abzuhalten, hat sich als Mumpitz erwiesen.
So armselig wie der Versuch einzelner versprengter Rechter, die Großkundgebung für ihre Selbstdarstellung zu nutzen, ist der Versuch der Kundgebungsgegner, dies als Beleg für eine rechts-linke Querfront herzunehmen. Im Grunde bedingen sich beide Strategien gegenseitig. Dabei sollte niemand mitmachen.
Die Ansagen von Sahra Wagenknecht von der Bühne aus waren ohnehin eindeutig, ebenso wie die Anweisung an die Ordner, die – ohne Hilfe der Polizei – eine kleine Gruppe von Rechtsradikalen um die Zeitschrift Compact von der Kundgebung entfernten.
Und die Linke? Während Tausende Mitglieder und Wähler der Linken aktiv an der Kundgebung teilnahmen, glänzte ihre Führung durch Abwesenheit und gab sich im Vorfeld als Stichwortgeber für die mediale Kampagne gegen unsere Kundgebung her. Das wird sicher noch Gegenstand von Debatten in der Linken sein.
Die unglaublichen und sehr persönlichen Entgleisungen in einigen Medien gegen Wagenknecht („schwarzes Herz“, „von Putin bezahlt“, „Gefahr für die Demokratie“) und – etwas abgeschwächt – gegen Schwarzer gingen auch nach der Kundgebung und trotz ihres guten Verlaufs weiter. Solche Kampagnen sind gefährlich. Nicht nur für die Betroffenen, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Sie sollten deshalb dringend Anlass für eine Debatte über die Diskussionskultur in Deutschland geben.
Alexander King ist Abgeordneter der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus und war einer der Mitorganisatoren der Friedens-Demo am Brandenburger Tor am Samstag.