In memoriam Kurt Neumann

Martin Rutsch

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde und Angehörige von Kurt,

 

ich habe Kurt 2013 kennengelernt, als ich Mitglied der Linken in Tempelhof-Schöneberg geworden bin. Damals war ich 18 Jahre alt. Gerade als junger Mensch möchte man die Welt aus ihren Angeln heben, fühlt sich so, als könnte man politisch Bäume ausreißen und jeder gut gemeinte Ratschlag von außen scheint überflüssig.

Zum Glück hatte Kurt genug Erfahrung und Einfühlung, in den vielen gemeinsamen Gesprächen vor, während und nach Parteiversammlungen, diese Flamme nicht mit Belehrungen und ausschweifenden Erzählungen zu ersticken, sondern zuzuhören und die richtigen Fragen zu stellen, um mein eigenes Handeln kritisch zu hinterfragen. 

Zu diesem Zeitpunkt war Kurt bereits fast ein halbes Jahrhundert politisch aktiv gewesen. Von ihm habe ich Begriffe wie zum Beispiel „Stamokap“ das erste Mal gehört - in den Medien oder im Schulunterricht kamen solche Worte schließlich nicht vor.

Kurt hat unseren Bezirksverband Tempelhof-Schöneberg nachhaltig politisch geprägt. Er hatte dabei zwei Themenschwerpunkte: Ihm lag die Solidarität mit Lateinamerika sehr am Herzen. Er hat sich mit der Hellen Panke durch Bildungsveranstaltungen und in der Bundestagsfraktion stets dafür eingesetzt, dass die progressiven linken Kräfte in Lateinamerika in der deutschen Linken nicht vergessen werden. Dabei baute er auch den Kontakt zur lateinamerikanischen Szene in Berlin ganz konkret mit auf. Eine solche Position ist in der Linken leider nicht selbstverständlich und darum war sein Engagement umso solidarischer und ehrenhafter.

Der zweite Schwerpunkt war die Europapolitik. Kurt war überzeugt von der europäischen Idee, aber niemals von einem europäisch gesteuertem Kapitalismus. Insbesondere während der Finanzmarktkrise und mit Blick auf die damalige Situation in Griechenland haben sich Kurts Fachkenntnisse für die Linken in und außerhalb von Tempelhof-Schöneberg als nützlich erwiesen. In unserem Bezirksverband hat er beispielsweise einen eigenen Arbeitskreis zu diesem Thema mitorganisiert. Er war, wie Gramsci sagt, ein „organischer Intellektueller“ im besten Sinne, der mit seinen Kenntnissen die Partei auch an ihrer Basis aufgebaut hat. 

Kurt war ein Freund Europas, aber ein hell- und weitsichtiger Kritiker der europäischen Institutionen. Seine kritische Position war fundierter und dialektischer als die manchen EU-Liebhabers, von denen sich mittlerweile sehr viele in den Reihen der Linken befinden - und die blind vor Liebe ihrer politischen Sehkraft beraubt sind.

Kurt war immer solidarisch mit unserem Bezirksverband und hat sich da eingesetzt, wo seine Hilfe gebraucht wurde. Sein wohl unbekanntestes aber gleichzeitig nachhaltigstes Werk für uns war die Schaffung einer Satzung für den Bezirksverband, die als einzige - so hat er mir das stolz darstellt - einen Schriftführer unter den Berliner Bezirksvorständen vorsieht.

Aber das war nicht die einzige Sonderstellung, die wir als Tempelhof-Schöneberg unter den Berliner Bezirksverbänden der Linken durch Kurt erhalten haben. Er hat lange Zeit als Landesparteitagsdelegierter gewirkt, und dass sich Tempelhof-Schöneberg als roter Keil im Berliner Landesverband formiert hat, verdanken wir Kurt. So hat er sich stets für eine angemessene Vertretung der Berliner Westbezirke in der Abgeordnetenfraktion stark gemacht, damit DIE LINKE in der gesamten Stadt ankommen konnte. Heute haben wir - allen aktuellen Abstrichen zum Trotz -  dieses Ziel erreicht. 

Kurt hat kein Blatt vor den Mund genommen - auch nicht gegenüber einem damaligen Kultursenator in spe. Kurt war ein Streiter, wo es der Kontroverse bedurfte. Und er war ein Schlichter, wo Aufbau und ein Blick nach vorn notwendig waren.

DIE LINKE Tempelhof-Schöneberg trauert um eines ihrer prägendsten Mitglieder, einen guten Genossen. Wir werden Kurt ein würdiges und vor allem nachhaltiges Andenken erhalten. 

 

Diese Rede wurde am 22. November bei der Gedenkveranstaltung der Hellen Panke für Kurt Neumann von Martin Rutsch im Namen des Bezirksverbands Tempelhof-Schöneberg gehalten.