Zelaya und die Vierte Urne

In Honduras kämpfen die sozialen Bewegungen für die Rückkehr des legitimen Präsidenten und für einen demokratischen Verfassungsprozess. Alexander King besuchte Anfang August für eine Woche Honduras gemeinsam mit der Bundestagsabgeordneten Monika Knoche (DIE LINKE) und dem Journalisten Harald Neuber (amerika21.de).

Einige Tausend Menschen sind auch an diesem Samstag, dem 8. August, auf dem zentralen Platz der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa zusammengekommen, um für die Rückkehr des rechtmäßigen Präsidenten Manuel Zelaya zu demonstrieren. Es ist der einundvierzigste Tag nach dem Putsch vom 28. Juni 09. Auf der Bühne wird politisches Straßentheater dargeboten – die Putschisten werden mit Riesen-Masken aus Pappmaché verhöhnt. Als Karikaturen zu sehen: der de-facto-Präsident Roberto Micheletti, der sich nach dem Putsch vom Parlament an die Staatsspitze wählen ließ, und die höchsten Würdenträger der Kirchen, die sich auf die Seite der Putschisten geschlagen haben.

Plötzlich erhitzt sich die Stimmung. Eine kurze Rangelei am Rande der Kundgebung, dann wird ein Mann wird von den  Ordnern der Demokratiebewegung abgeführt. Es ist ein Polizist, der sich in zivil unter die Menge gemischt hatte. Auf der Bühne wird seine Dienstmarke präsentiert. Trotz der friedlichen Stimmung, die bis dahin auf dem Kundgebungsplatz geherrscht hatte – die politischen Auseinandersetzungen haben sich während unseres Besuchs in Honduras noch weiter zugespitzt. Die Demokratiebewegung ist harten Repressionen durch die Putschisten ausgesetzt und muss ihre Reihen geschlossen halten.

Drei Tage zuvor war die Universität unter Missachtung ihrer Autonomie von schwer bewaffneter Polizei gestürmt worden. Dabei wurden mehrere Studierende verletzt. Die Direktorin der Universität wurde ins Gesicht geschlagen. Am selben Abend berichten uns Vertreterinnen von Frauen- und Menschenrechtsorganisationen von tausenden willkürlichen Festnahmen seit dem Putsch, von Folter, Verschwundenen und Ermordeten, auch von sexualisierter Gewalt von Polizisten gegen weibliche Gefangene. Als einige Tage später Zehntausende aus dem ganzen Land nach einem Sternmarsch die Hauptstadt erreichen, geht die Polizei mit äußerster Brutalität gegen sie vor. Wieder zahlreiche Verletzte, wieder Festnahmen. Am Tag darauf wird ein Anschlag auf das Büro der Landarbeitergewerkschaft Via Campesina verübt.

Kabinett im Widerstand

Wir treffen Xiomara Castro de Zelaya, die Frau des Präsidenten. Seit ihr Mann vom Militär aus dem Präsidentenpalast entführt und nach Costa Rica ins unfreiwillige Exil geflogen wurde, kämpft sie an der Spitze der Demokratiebewegung für seine Rückkehr.

Frau Castro de Zelaya beschreibt den Staatsstreich in ihrem Land als Werk einer Koalition aus Militär, Unternehmerschaft, privaten Medien, die sich in Besitz weniger reicher Familien befinden, sowie der Kirchenhierarchie. Diese Teile der Elite, so Castro de Zelaya, hätten ihre Interessen durch politische Projekte des Präsidenten gefährdet gesehen. Auch uns ist aufgefallen: In den privaten Medien werden insbesondere drei Maßnahmen der Regierung Zelaya als “Weg in die kommunistische Diktatur” angeprangert: die Erhöhung des Mindestlohns um 60 Prozent, die Kooperation mit Venezuela und Kuba im Rahmen des lateinamerikanischen Integrationsprojekts ALBA und die für Ende Juni vorgesehene und durch den Putsch verhinderte Volksbefragung, die einen Verfassungsprozess, ähnlich dem in Bolivien oder Ecuador, hätte in Gang setzen können.

Bei positivem Ausgang der Befragung hätte sich der Nationalkongress mit der Frage befassen müssen, ob bei den im November anstehenden drei Wahlgängen (Präsidentschaft, Parlament, Bürgermeister) zugleich eine Abstimmung über die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung stattfinden, also die in Honduras viel diskutierte “Vierte Urne” aufgestellt werden soll. Die Elite befürchte, in einem partizipativen Verfassungsprozess die Kontrolle zu verlieren, so Castro de Zelaya.

In einem Landhaus in Santa Lucia, rund 20 Kilometer nordöstlich von Tegucigalpa, treffen wir uns mit Mitgliedern der rechtmäßigen, durch den Putsch gestürzten Regierung von Honduras, die seit dem Putsch ein “Kabinett im Widerstand” bilden. Die Kabinettsmitglieder fordern die Erhöhung des internationalen Drucks auf die Putschregierung. Der Druck müsse dort ansetzen, wo er die wirtschaftlichen Interessen der Putsch-Eliten trifft, ohne die Bevölkerung in Mitleidenschaft zu ziehen. Konkret fordern sie die Aussetzung der EU-Handelspräferenzen für Honduras und jeglicher finanzieller Zusammenarbeit, solange der legitime Präsident nicht wieder im Amt ist. Außerdem solle es keine Unterstützung der EU für die Vorbereitung von Neuwahlen geben, weil diese unter den gegebenen Umständen keine Legitimität hätten.

Unterstützung für den Staatsstreich aus Deutschland

Der Staatsstreich in Honduras ist unterdessen auch in Deutschland zu einem politischen Thema geworden – spätestens seit die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) am 5. August 09 namhafte Propagandisten des Putsches in den Deutschen Bundestag eingeladen hat. Der Stiftungsvorsitzende, Wolfgang Gerhard, und der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Werner Hoyer, hatten bei dieser Gelegenheit den Staatsstreich in Honduras gerechtfertigt bzw. als „tollpatschig“ verharmlost.

Die FNF verfügt seit langem über erheblichen politischen Einfluss in Honduras durch ihre enge Kooperation mit der regierenden Liberalen Partei (PLH), der sowohl Zelaya als auch der Putsch-Präsident Micheletti angehören. Als vor zwei Jahren innerhalb der PLH ein Machtkampf ausbrach, der schließlich zugunsten des rechten Flügels unter Micheletti entschieden wurde, positionierte sich die FNF auf dessen Seite. Im Zuge dieser Rechts-Entwicklung an der Spitze der PLH seien bereits vor dem Staatsstreich viele Funktionäre, die den Präsidenten und das Projekt der “Vierten Urne” unterstützten, von ihren Funktionen entfernt worden, erzählen uns Parteiaktivisten.

Auf der Kundgebung in Tegucigalpa treffen wir einige ehemalige FNF-Stipendiaten. Sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Junge Liberale in der Widerstandsfront“. Sie sind zwar Teil des Freiwilligen-Netzes aus Moderatoren, auf das sich die Bildungsarbeit der FNF stützt, gehen aber für Zelaya auf die Straße – trotz der ausdrücklichen Aufforderung aus der FNF, dies nicht zu tun. „Die FNF hat unsere liberalen Ideale verraten und ist auf einen stramm-rechten Anti-Chávez-Kurs gegangen“, beklagen sie.

Kampf um die Vierte Urne

Während der Einsatz der jungen Liberalen in erster Linie auf die Rückkehr des Präsidenten ausgerichtet ist, erklären uns führende Mitglieder der „Nationalen Widerstandsfront gegen den Staatsstreich“, dass sich ihr Protest grundsätzlicher gegen die sozialen und politischen Missstände in ihrem Land richtet. Unter ihnen sind viele Gewerkschaftsmitglieder und Aktivisten linker Gruppen. Sie sehen die Chance, dass im Widerstand gegen den Staatsstreich die honduranische Zivilgesellschaft, die zwar sehr gut organisiert ist, aber zuletzt wenig politisiert war, neue Stärke entfaltet.

Sie setzen darauf, dass der Einsatz für Zelaya in eine breitere Bewegung für mehr soziale Gerechtigkeit und politische Teilhabe mündet. Insbesondere der Kampf um die „Vierte Urne“, also um einen demokratischen Verfassungsprozess, wird weitergehen und muss noch verstärkt werden, wenn es den Putschisten gelingen sollte, eine Neuwahl abzuhalten oder bis zur turnusgemäßen Wahl eines neuen Präsidenten im November die Rückkehr von Zelaya zu verhindern.

Zum Abschied werden auch an uns klare Forderungen gestellt: Der Widerstand in Honduras braucht Unterstützung aus Deutschland und Europa. Die Aktivistinnen und Aktivisten der Demokratiebewegung erwarten von den sozialen Bewegungen in Europa, dass sie sich verstärkt für politische Initiativen der EU einsetzen, um Zelaya die Rückkehr nach Honduras und in sein Amt zu ermöglichen.

Alexander King ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE).

 

Hilfe für die Demokratiebewegung in Honduras

Die internationale Landarbeiterorganisation Via Campesina ruft zur Unterstützung für die Demokratiebewegung in Honduras auf: "Wir brauchen Spenden, um den Kampf in Honduras zu unterstützen"

http://amerika21.de/nachrichten/inhalt/2009/aug/hilfe-6482093645-honduras/  

Protest gegen die Unterstützung der FNF für den Putsch in Honduras

http://amerika21.de/nachrichten/inhalt/2009/jul/petition-9263537-naumann/


 

Tödliches Versagen

Hungerkrise in Haiti: Der Grund sind die neoliberalen Entwicklungsstrategien von Weltbank und USA

Alexander King

Sechs Tote und der Sturz der Regierung das ist die vorläufige Bilanz der Hungerrevolte in Haiti. Die Regierung von Premierminister Jacques-Edouard Alexis wurde am vergangenen Samstag vom Senat. in Abwesenheit der Senatoren der Regierungspartei Lespwa  abberufen. Selbst Präsident René Préval, der erst vor zwei Jahren mit überragender Mehrheit gewählt worden war, wankt. Sein politisches Schicksal hängt jetzt ironischerweise auch von den Zuwendungen jener Institutionen ab, die für die Krise in Haiti mitverantwortlich sind.

Denn Haiti ist ein klassisches Opfer westlicher »Politikberatung«. Es waren Weltbank und die US-amerikanische Entwicklungshilfeagentur USAID, die dem Karibikstaat in den 80er Jahren eine streng neoliberale Handels- und Wirtschaftspolitik aufgezwungen haben. Sie nutzten dazu die Umbruchsituation nach dem Sturz der Diktatorenfamilie Duvalier 1986. Noch im selben Jahr trat ein neues Handelsrecht in Kraft, das die Importsteuern auf Nahrungsmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs drastisch senkte. Nach Ansicht der Weltbank wurde den Haitianerinnen und Haitianern so ein besserer Zugang zu günstigeren Nahrungsmitteln ermöglicht: Die Nahrungsmittelimporte sollten ansteigen, das Angebot vergrößert werden. Zugleich war klar, daß die massenhafte Einfuhr von preiswerten Waren, etwa Reis und Geflügel aus den USA, lokale Produzenten verdrängen würde.

Verlängerte Werkbank

So war auch die massive Landflucht, die nach 1986 tatsächlich einsetzte, Teil des »Entwicklungsplans« der Weltbank: Die ehemaligen Landarbeiter sollten Arbeit in den neuen Fertigungshallen der Montageindustrie finden, die zeitgleich stark gefördert wurde. Diese Strategie war mit den Auslagerungsplänen der US-Konzerne abgestimmt. Mit der »Caribbean Basin Initiative«, der »Initiative für das Karibikbecken«, die den bevorzugten Zugang für Produkte der dortigen Fertigungsindustrie auf den US-Markt regelt, hatte die US-Regierung schon ab 1983 die Rahmenbedingungen geschaffen: Die Karibik wurde zur verlängerten Werkbank der US-Industrie.

Die Folgen in Haiti waren verheerend: Die Nahrungsmittelproduktion pro Kopf ging um über ein Drittel zurück. Besonders betroffen waren die Grundnahrungsmittel Reis, Hirse und Bohnen, die traditionell auf den lokalen Märkten gehandelt worden waren und die nun durch die konkurrenzlos preiswerten Importe verdrängt wurden. Viele bäuerliche Familien wurden auf die reine Subsistenzwirtschaft zurückgeworfen oder gezwungen, in die Städte zu ziehen, wo der Straßenhandel mit den Importwaren zumindest einigen von ihnen ein geringes Einkommen ermöglichte.

Die Hoffnung, daß die Montageindustrie die freiwerdende Arbeitskraft absorbieren würde, erfüllte sich nicht. Nach einem kaum merklichen Aufschwung Mitte der 80er Jahre mit damals rund 50000 mehr Beschäftigten, arbeiten heute nur noch zwischen 10000 und 20000 Menschen in den Montagehallen. Während diese Industrie in den 80er Jahren unter anderem noch die Fertigung von Spielwaren und Elektronikgeräten einschloß, sind heute fast ausschließlich Textilunternehmen anzutreffen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter in Port-au-Prince oder im neuen Industriepark Maribahoux an der Grenze zur Dominikanischen Republik fertigen einfache Kleidung für Markenfirmen wie Levi's oder Hanes Brand. Hinzu kommt, daß die Einrichtung von Industriezonen und die Urbanisierung in der Umgebung solcher Gebiete wertvolle landwirtschaftliche Nutzfläche vernichtet. In Maribahoux etwa wurden ab 2002 für den Industriepark eines dominikanischen Textilkonzerns Hunderte Bauernfamilien von ihrem Land gedrängt zu geringen Entschädigungssummen. Von den 10000 versprochenen Arbeitsplätzen sind bis heute aber nur 2000 entstanden. Die Arbeitsbedingungen in den Industrieparks werden von den Gewerkschaften als menschenunwürdig beschrieben, die Entlohnung übersteigt den gesetzlichen Mindestlohn von derzeit zwei US-Doller pro Tag nur unwesentlich. Von diesem Lohn die steigenden Lebenshaltungskosten zu bestreiten, ist unmöglich.

Eigenproduktion notwendig

Denn auch dieser Teil der Weltbankstrategie ist nicht aufgegangen: Durch die Importflut von Grundnahrungsmitteln aus den USA sind diese auf lange Sicht nicht preiswerter geworden. Die Marktbereinigung zuungunsten der lokalen Produzenten und zugunsten der Importeure hatte letztlich den massiven Preisanstieg der importierten Waren zur Folge. Schon ab Ende der 80er Jahre setzte die kurzfristig nach der Zollsenkung in eine Deflation umgeschlagene  Inflation wieder ein und stieg bis auf fast 40 Prozent in 2004. Seither ist zwar die allgemeine Inflationsrate auf 14,4 Prozent (2007) zurückgegangen, die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis explodierten jedoch geradezu. Sie haben sich innerhalb des vergangenen Jahres teilweise verdoppelt. Dem Preisanstieg dieser Waren auf dem Weltmarkt  durch die wachsende Nachfrage in Ostasien, die Konkurrenz mit Pflanzen für »Biosprit« und Börsenspekulationen angeheizt  war Haiti wie auch andere Länder, die sich dem neoliberalen Handelsdiktat gebeugt hatten, hilflos ausgesetzt.

Jetzt ist kurzfristige Abhilfe in Sicht. Mit Unterstützung der Weltbank und der haitianischen Importeure soll der Preis für Reis um ein Sechstel gesenkt werden. Umfangreiche Nahrungsmittelhilfen aus Venezuela und Brasilien sind angekündigt. Dies wird die schlimmste Not kurzfristig lindern. Auf Dauer könnten aber auch diese Maßnahmen in die falsche Richtung wirken. Präsident Préval selbst verwies auf die Notwendigkeit, mittelfristig die lokale Produktion zu stärken, um sich gegen die Unwägbarkeiten des Weltmarktes zu schützen. Zentrales Projekt muß nun die angekündigte Agrarreform sein, um eine größere Eigenständigkeit in der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu erreichen.

Dagegen ist Widerstand zu erwarten. Die mächtigen Händlerfamilien Haitis, oftmals deutschen und libanesischen Ursprungs, waren die Nutznießer der neoliberalen Wirtschaftsstrategien. Ihr Reichtum und ihre politische und wirtschaftliche Macht basieren auf den Beteiligungen an den Betreiberkonsortien der Industrieparks und ihren Monopolen beim Import. Sie üben zugleich großen Einfluß auf die Politik des Landes aus. Die Krise der Mitte-links-Regierung von Préval und Alexis, deren demokratische Wahl vor zwei Jahren sie nicht verhindern konnten, kommt ihnen deswegen recht.

Und die seit 2004 stationierte UN-Besatzungstruppe MINUSTAH? Sie ist bereits die zweite UN-Mission in Haiti seit 1994 und ein weiterer milliardenteurer Beleg dafür, daß sich die durch neoliberale Wirtschafts- und Entwicklungsstrategien vertieften strukturellen Verwerfungen nicht durch eine internationale Militärpolitik in den Griff bekommen lassen. Im Gegenteil ist die MINUSTAH ein Hauptadressat des Protestes und reagiert darauf mit äußerster Härte. Auf einer Geberkonferenz Ende April soll nun die zivile Aufbauhilfe aufgestockt werden. Damit sie wirksam werden kann, ist ein radikales Umdenken nötig, im Land und international.

Alexander King ist promovierter Diplomgeograph. Er hat im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit zwischen 1996 und 2004 längere Zeit in Haiti verbracht

Aus: Junge Welt, 17.04.2008